Es stand einmal besser um sie
Freiheit, Freiheit über alles? Über alles in der Welt? Auch in Deutschland? Offenbar ja. Eine Umfrage jedenfalls hat ergeben, dass Freiheit als wichtigster Wert in der deutschen Gesellschaft an erster Stelle steht. Und 67 Prozent der Befragten äußerten, dass Menschen Freiheit konstruktiv nutzen. 30 Prozent dagegen taten kund, Menschen nutzen sie zum Missbrauch. Es war Detmar Doering vom Liberalen Institut, der dies auf der Veranstaltung „Forum Freiheit 2009“ am 17. Juni in Berlin vortrug. Doch wenn Freiheit wirklich der Deutschen wichtigster Wert ist – was er auch sein sollte – fragt man sich, warum sich dann die Deutschen immer mehr Einschränkungen ihrer Freiheit durch die politisch Herrschenden gefallen lassen und scheinbar klaglos, jedenfalls ohne öffentliches Aufbegehren hinnehmen.
Dass es in Deutschland auch einmal viel freier zugegangen ist, nämlich in den vorausgegangenen Jahrhunderten, rief Gerd Habermann1) in Erinnerung. Anders als in der jüngeren Gegenwart sei Deutschland nicht nur der Bürokratiestaat mit Staatshörigkeit seiner Bürger gewesen, sondern ein Staat der Freiheit und ein Land großer Freiheitstraditionen. Die Deutschen sollten mehr auf diese Traditionen blicken und sich mit ihnen identifizieren, statt ständig nur auf die schlimmen Jahrzehnte des rechts- und linkssozialistischen Staatsterrors im 20. Jahrhundert zu blicken.
Kein Grund für politischen Minderwertigkeitskomplex
Habermann schlug bei seinem Kurzrückblick einen großen historischen Bogen: vom Freiheitssinn der Germanen über den mittelalterlichen Feudalismus, der zur Urquelle des Staatenpluralismus („Kleinstaaterei“) und der Staatenkonkurrenz wurde mit ihrer kulturellen Vielfalt und den Möglichkeiten für freiheitliche Geister, von den legendären Bauernrepubliken (Friesland, Dithmarschen, Schweiz, Österreich) zu den Städtefreiheiten und zu Preußen (Bauernbefreiung, Gewerbefreiheit, Freiheit der Wissenschaft), vom Freiheitsdenken der deutschen Klassik (Schiller, Kant) über die liberale Bewegung im 19. Jahrhundert bis zu den Konzeptionen des deutschen Neo- und Ordo-Liberalismus des 20. Jahrhunderts (u.a. Eucken, Böhm, Röpke, Rüstow), von der gescheiterten Revolution 1848 über die von 1918 bis zum Volksaufstand 1953 in der DDR und der friedlichen Revolution von 1989 mit dem Ende der DDR. Für Habermann besteht damit kein Grund zu einem politischen Minderwertigkeitskomplex der Deutschen, auch wenn gegenwärtig durch das abermalige Staatsversagen auf breiter Linie (Finanzkrise, Krise des Wohlfahrtsstaates insgesamt) wieder einmal liberale Positionen in der Defensive stünden.
Die Freiheit ist massiv bedroht
Doch der Wirtschaftspublizist Günter Ederer goss, wie er sagte, Wasser in diesen Wein: „Ich sehe keine große Tradition der Freiheit in Deutschland.“ Das deutsche Bildungsbürgertum neige nicht zur Freiheit, sondern werfe sich den Herrschenden zu Füßen. Aber bei dieser Beurteilung ließ er sich wohl eher von seinem entsetzten Blick auf die deutsche Gegenwart leiten. Die Freiheit sei massiv bedroht – von der Umweltpolitik, von ihrer weltumspannenden Bürokratie, von ihrer Tendenz zur Deindustrialisierung vor allem in Deutschland. Aber nicht nur davon, ebenso von der Finanz- und Steuerpolitik, Staatsverschuldung, Gesundheitspolitik, gesetzlichen Altersicherung, der zentralistischen EU-Politik und ihrer nationalen Souveränitätseinschränkung, vom umfassenden Regulierungswahn.
Auch schlechtes Geld bedroht die Freiheit
Bedroht ist die Freiheit auch von der Verschlechterung des Geldes. Die globale, von den USA ausgegangene Finanzkrise hat darin ihre tiefere Ursache. Über das Geld und seinen Wert wachen sollen die Zentralbanken. Aber dass Zentralbanken für Geldwertstabilität sorgen, ist – entgegen anders lautender Bekundungen und Beschwörungen – ein Mythos. Michael von Prollius2) vom Forum Ordnungspolitik trug das vor. Zentralbanken, darunter auch die EZB mit zeitweise zweistelligen Wachstumsraten der Geldmenge, seien mit ihrer Politik des billigen Geldes Inflationsbehörden. Ohne Zentralbanken hätte es Finanzkrisen nicht gegeben. Solange sie das Monopol der Geldproduktion hätten, werde es weitere geldpolitisch verursachte monströse Konjunkturzyklen geben. Das Übel unserer Zeit sei das gesetzliche Zahlungsmittel. Nur durch Reprivatisierung könne Geld wieder gutes Geld werden. Gutes Geld sei knapp und nicht wie heute in inflationärem Ausmaß vorhanden.
Privates gutes Geld statt schlechtes staatliches Monopolgeld
In einer neuen gerechten Geldordnung sieht Prollius „die zentrale Herausforderung unserer Zeit“. Die überkommende staatsmonopolistische Geldproduktion sei marktwirtschaftlichen Regeln und damit dem Wettbewerb zu unterwerfen. Dies stehe auf der Agenda für die Freiheit ganz weit vorn. Regierungen, so zitierte er Friedrich A. von Hayek, hätten das staatliche Geldmonopol ständig und unvermeidlich grob missbraucht. Das künstliche staatliche Privileg eines gesetzlichen Zahlungsmittels sei abzuschaffen, indem man privates Geld zulasse. Schließlich sei Geld keine staatliche Erfindung. Nur so bestehe Hoffnung, staatspolitisch verursachte Finanzkrisen einschließlich Massenarbeitslosigkeit und Inflation zu vermeiden. Im weiteren erläuterte Prollius, wie das Zulassen von privatem Geld und der Übergang in der Praxis zu bewerkstelligen ist.
Es war ein eindrucksvolles Plädoyer für eine geldpolitische Revolution. Aber Revolutionen mögen Staaten nicht. Daher werden sie sich mit aller ihrer Macht dagegen wehren, denn privates Geld bedeutet auch, dass sie sich nicht mehr überschulden können und durch Inflation nicht mehr entschulden können. Ihre Zentralbanken verlieren das Monopol in ihrer heutigen Funktion und können die Zinsen nicht mehr manipulieren, denn die bilden sich dann auf natürliche Weise durch Angebot und Nachfrage. Eben darum suchen die Herrschenden das Volk in seinem Glauben zu bestärken, privates Geld sei „das Hirngespinst verwirrter Geister“ (Prollius). Gleichwohl sieht Habermann in der gegenwärtigen Finanzkrise eine gute Gelegenheit, das staatliche Geldmonopol zu brechen und liberale Lösungen durchzusetzen. In Beiträgen verschiedener Zeitungen laufe die Diskussion darüber schon, und China versuche, sich und die Nachbarstaaten vom übermächtigen, aber wertlosen Dollar zu lösen. Auch gebe es schon privates Geld: in Form von Prepaid-Karten und Bonus-Chips von Kaufhäusern.
Die Familie als freiheitliche Alternative
Beatrix Herzogin von Oldenburg von der Bürgerbewegung Zivile Koalition trat auf dem Forum für eine Revitalisierung der Familie ein; sie dürfe nicht zum Bittsteller und Abhängigen des Staates werden. „Familie ist die freiheitliche Alternative zu den staatlichen Sozialbürokratien.“ Für ein freies Bildungswesen engagierte sich Brigitte Pötter vom Bund Freiheit der Wissenschaft, und die Publizistin und Therapeutin Dagmar Neubronner vom Netzwerk Bildungsfreiheit schlug mit ihrem Vortrag „Bildungsfreiheit ist ein Bürgerrecht“ in die gleiche Kerbe.
Appelliert wurde auf dem Forum an alle politischen Entscheidungsträger „Gebt den Bürgern Geld und soziale Verantwortung zurück“. Karl-Heinz Sundmacher vom Freien Verband Deutscher Zahnärzte formulierte seine persönliche Definition von sozialer Verantwortung so:
„Sie besteht in meiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Sie besteht primär in der Übernahme von Eigenverantwortung für meine Lebensgestaltung, und zwar auf allen Ebenen. In allen Phasen meines Lebens, bei allen aufkommenden Problemen schöpfe ich zuerst in Eigeninitiative meine Möglichkeiten aus, bevor ich nach Unterstützung der Gesellschaft frage. Soziale Verantwortung ist meine ureigene Pflicht, der Gesellschaft so wenig wie möglich abzuverlangen. Im Gegenzug erwarte ich von der Gesellschaft, dass sie mir so wenig wie möglich und nur so viel, wie unbedingt nötig, abverlangt. Zum Beispiel Geld.“
Eine gute Definition. Aber beherzigt wird sie zu wenig. Es scheint, so viel Freiheit zur Eigenverantwortung wollen zu viele Deutsche gar nicht. Um Freiheit müsse man kämpfen, sagte Habermann und zitierte ein Wort, das Berthold Brecht zugeschrieben wird: „Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
1) Leiter des Unternehmerinstituts der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer e.V.
2) Wissenschaftlicher Autor und Referent für Wirtschaftspolitik