Die Bremse für die Staatsverschuldung

Zweifel an ihrer Wirksamkeit

Was gut klingt, muss noch lange nicht gut sein. Das gilt auch für das Vorhaben, die staatliche Verschuldung zu begrenzen. Mit einer neuen Schuldenregel für Bund und Länder soll das gelingen. Das allerdings lässt sich bezweifeln

Die neue Regel steht im Mittelpunkt der zweiten Stufe der Föderalismusreform.* Das Gesetzgebungsverfahren dafür ist auf den parlamentarischen Weg gebracht. Im Juli, also noch vor der parlamentarischen Sommerpause, soll es abgeschlossen sein. Aber schon jetzt gilt diese Schuldenbremse als verfehlt und überflüssig.

Vertreten wird diese Ansicht vom Juristen Werner Heun, Professor an der Universität Göttingen, wo er das Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften leitet. Aber sie ist durchaus berechtigt. Kurzgefasst lautet sie: Die Schuldenbremse ist zu starr, sie umfasst nicht die implizite Staatsverschuldung (zum Beispiel die Pensionslasten)**, und sie wird umgangen werden wie auch schon die bisherige Schuldenregel. Ohnehin sei Staatsverschuldung etwas anderes als private Verschuldung und daher auch anders zu beurteilen.

Kern der neuen Regelung in der Föderalismusreform II ist: Von 2020 an soll mit der Neuverschuldung völlig Schluss sein, jedenfalls für Länder und Gemeinden. Dann dürfen sie keine neuen Kredite mehr aufnehmen. Nur der Bund darf noch, allerdings von 2016 an begrenzt auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Der Staat umgeht oder missachtet die Begrenzung

Auf der Tagung „Die Reform des Bundesstaates“, veranstaltet von der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften (DHV) in Speyer, hat Heun seine Beurteilung der neuen Regel erläutert. Für zweifelhaft hält er vor allem die Begrenzungswirkung. Entweder werde gegen die Regel offen verstoßen,  oder sie werde phantasiereich umgangen. Die beiden großen Schübe zusätzlicher Staatsverschuldung in Deutschland (gegen die Rezession 1975 und für die deutsche Einheit 1990) würde auch die jetzt bevorstehende Schuldenbremse nicht verhindert haben. Und die Verfassungsgerichte seien weitgehend überfordert, eine solche Begrenzungsregel durchzusetzen. Würde Verfassungsklage erhoben, und würde das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung der Schuldenbremse als verfassungswidrig verurteilen, seien in der Regel drei Jahre verstrichen „und das war’s dann“. Außerdem verwies er darauf,  eine Schuldenbegrenzung werde global nirgends eingehalten, nur in Irland sei das vorübergehend einmal vorgekommen.

Veranstaltungsleiter Joachim Wieland vom DHV-Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht  teilte Heuns Beurteilung und meinte, die bisherige Regelung (Artikel 115 Grundgesetz) sei eher sinnvoll als die neue Schuldenbremse. Falls weder Politik noch Volk sie durchhielten, dann seien auch die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts begrenzt, und das Gericht würde beim Verfassungsverstoß mitspielen. Daher solle die neue Schuldenbremse besser nicht  ins Grundgesetz. Sie bewirke dort keine Wunder.

Schon vor einem Jahr, ebenfalls in Speyer, hatte er gesagt „Wie immer man die Verschuldungsregel formuliert, sie wird nicht funktionieren.“Dass seine und Heuns Skepsis begründet ist, lässt sich mit zwei Schuldbegrenzungen, die es schon lange gibt, die aber keine Wirkung entfalten, gut belegen. Die eine steht im Stabilitätsgesetz von 1969, die andere in Artikel 115 (Kreditaufnahme) des Grundgesetzes. Die erste wird nicht angewendet, bei der zweiten wird gemogelt.

Aber so berechtigt die Skepsis ist, dass Schuldenregeln trickreich umgangen oder offen missachtet werden: Es ist auf jeden Fall besser, solche gesetzlichen Regeln zu haben als sie nicht zu haben. Ohne sie würden die Herrschenden im Staat die Verschuldung noch unverfrorener betreiben, aber mit solchen Regeln stehen sie immerhin unter stärkerem öffentlichen Rechtfertigungszwang und unter dem Risiko eines Gesetzesverstoßes.

Heun gehört zu jenen, die eine Staatsverschuldung für nötig halten und meinen, ohne sie ginge es nicht. Aber wie so oft ist daran Wahres und Zweifelhaftes zugleich. Allerdings hat er die Verschuldung auch noch zusätzlich begründet, und zwar mit der rhetorischen Frage: „Was ist, wenn es keine Staatsanleihen mehr gibt? In was soll man dann sicher investieren?“ Das allerdings ist ein merkwürdiges Argument: Der Staat soll sich also (auch) deshalb verschulden, weil der Bürger sonst nicht weiß, wohin mit seinem Geld – und das auch noch aus Gründen der Sicherheit, weil die übrigen Anlagemöglichkeiten alle irgendwie riskant sind. Doch damit sollte der Staat seine Kreditaufnahmen lieber nicht rechtfertigen; die Begründung ist einfach nicht glaubwürdig und geradezu verlogen.

*) Neugeordnet werden zwischen Bund und Ländern – neben der Staatsverschuldung – auch die Finanzbeziehungen, also vor allem die Regelung, wer welche Steuern erheben darf und wer was davon bekommt. Zusammen mit der ersten Stufe der Föderalismusreform von 2006 gilt diese Reform als die größte Änderung des Grundgesetzes seit 1949.

**) Siehe meinen Beitrag vom 8. April 2008 „Die verschwiegenen Staatsschulden“.

 

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