Eine Gedenkveranstaltung für den ermordeten Treuhand-Chef Rohwedder
Die deutsche Vereinigung mit ihren Folgen ist ohne Blutvergießen ausgekommen – mit einer Ausnahme: dem Mord an Detlev Karsten Rohwedder, als er Präsident der sogenannten Treuhandanstalt war. Der Mord geschah vor zwanzig Jahren am 1. April 1991, der ein Ostermontag war. Im Bundesfinanzministerium fand jetzt am 1. April 2011 in Berlin zu Rohwedders Ehren eine Gedenkveranstaltung statt. Rohwedder wurde hinterrücks erschossen, als er am offenen Fenster seines Hauses in Düsseldorf stand. Aufgeklärt wurde der Mord nie. Zwar gab es ein Bekennerschreiben der RAF, doch ist zu bezweifeln, ob es diese Terroristenbande wirklich war. Unaufgeklärte Morde an bedeutsamen Persönlichkeiten lenken stets die Vermutung auf das Wirken staatlicher Geheimdienste und wecken dann den Verdacht, dass solche Morde gar nicht aufgeklärt werden sollen. Ob Mitglieder des einstigen DDR-Ministeriums für Staatsicherheit („Stasi“) dahinter standen, ist ebenfalls bloße Vermutung.
Wie die Treuhandanstalt anfänglich hieß
Doch um die Mörder und Hintergründe des Mordes ging es bei der Gedenkveranstaltung nicht, sondern um Rohwedder, um seine hervorragende Persönlichkeit und zwangsläufig um die Rolle der Treuhandanstalt. Ihr ursprünglicher Name lautete Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums. Errichtet hatte sie am 1. März 1990 (noch oder schon) der DDR-Ministerrat der Modrow-Regierung. Die Vorlage dazu hatte die DDR-Oppositionsgruppe Demokratie Jetzt für die Sitzung des sogenannten Runden Tisches am 12. Februar 1990 gemacht. Als eine staatliche Holding für alle Volkseigenen Betriebe der DDR sollte sie die „Anteilsrechte der DDR-Bürger am Volkseigentum der DDR“ wahren und diese Betriebe in eine Rechtsform überführen, wie sie im Westen, in der Bundesrepublik, üblich waren.
Was die Treuhandanstalt ursprünglich sollte
Hauptsächlich ging es darum, die Kombinate zu entflechten und deren Nachfolger als Unternehmen in Kapitalgesellschaften umzuwandeln. Folglich hieß das, was die DDR-Volkskammer am 17. Juni 1990 dazu beschlossen hat, Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation des volkseigenen Vermögens, kurz Treuhandgesetz genannt. Als beide deutsche Teilstaaten (wieder)vereinigt waren, wurde die Treuhandanstalt eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts und unter die Fachaufsicht des Bundesfinanzministeriums gestellt. Rechtliche Grundlagen ihrer Arbeit war jenes Treuhandgesetz zusammen mit dem Staatsvertrag der beiden deutschen Staaten über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 und dem Vertrag zur deutschen Einheit vom 31. August 1990.
Was die Treuhandanstalt dann tatsächlich tun musste
Schon im Juli 1990 gelang es der Bundesregierung, dass die Noch-DDR ihre Treuhandanstalt mit Unternehmensführern aus der Bundesrepublik besetzte: mit Rohwedder (zunächst) als Vorsitzenden des Treuhand-Verwaltungsrates und Rainer Maria Gohlke als Präsidenten der Anstalt, beide bis dahin Vorstandsvorsitzende, Rohwedder im Stahlkonzern Hoesch AG und Gohlke bei der Deutschen Bundesbahn. Doch schon bald trat Gohlke als Folge eines Kompetenzkonflikts zurück. Sein Amt übernahm Rohwedder am 1. September 1990, und Rohwedders Amt ging an Jens Odewald, bis dahin Vorstandsvorsitzender der Kaufhof AG. Anders als die ursprüngliche Vorstellung hatte die Treuhand nunmehr die Aufgabe, die DDR-Betriebe zu privatisieren, das heißt, zugunsten des Bundes-Fiskus zu verkaufen.
Wie die Treuhandanstalt vorzeitig aufgelöst wurde
Nach dem tödlichen Attentat auf Rohwedder übernahm dessen Amt die CDU-Politikerin Birgit Breuel, die seit 1990 in der Treuhand-Geschäftsleitung saß und davor zuletzt Finanzministerin in Niedersachsen gewesen war. Mit ihr an der Spitze lautete das Motto, das so ähnlich schon Rohwedder vorgegeben hatte: „Schnell privatisieren, weil wir der Auffassung sind, dass Privatisieren die beste Form der Sanierung ist. Das zweite Motto heißt: Entschlossen sanieren. Da, wo Zukunft möglich ist, soll Sanierung durchgeführt werden, um auch hier den Menschen mehr Mut und Hoffnung zu machen. Und das dritte Motto heißt: Behutsam stilllegen.“ Aber schon Ende 1994 wurde die Treuhand unter Frau Breuels tätiger Mitwirkung unnötig aufgelöst, mit einem Defizit von rund 270 Milliarden DM, obwohl das Privatisieren noch gar nicht beendet war, und in Nachfolgeunternehmen zersplittert. Man hatte den Eindruck, sie mache sich aus dem Staub, habe die Nase voll von dieser Aufgabe.
Rohwedder vor dem „sozialistischem Trümmerhaufen“
Insgesamt verfügte die Treuhand über rund 14 600 Betriebe, über 2,4 Millionen Agrar- und Forstland das ehemalige Stasi-Vermögen, über Liegenschaften der DDR-Armee, umfangreichen Wohnungsbesitz sowie das Vermögen der staatlichen Apotheken und der DDR-Parteien und – Massenorganisationen. Ihr Hauptsitz war Berlin, und in den einstigen DDR-Bezirksstädten hatte sie 15 Niederlassungen. Rohwedder habe damals „die größte Industrie-Holdung der Welt“ übernommen, sagte Richard Schröder, als er jetzt über sie und Rohwedder sprach. Rohwedder selbst habe von einem „sozialistischen Trümmerhaufen“ gesprochen. Schröder war 1990 in der ersten (und letzten) freigewählten DDR-Volkskammer Fraktionsvorsitzender der SPD gewesen.
Nicht nur unbeliebt, sondern auch verhasst
Alles dies lebte bei der Gedenkveranstaltung jetzt in Berlin wieder auf, teils ausgesprochen, teils unausgesprochen. Dazu gehört auch die Tatsache, dass die Treuhandanstalt nicht nur höchst unbeliebt, sondern bei vielen geradezu verhasst war. Schröder drückte das so aus: Vor dem „politischen Mord“ an Rohwedder habe die Kritik an der Treuhand und ihrem Präsidenten jedes Maß verloren – bis zum persönlich verunglimpfenden Rufmord. Bis zum heutigen Tag sei der Ruf der Anstalt ausgesprochen schlecht. Nach Ansicht der Kritiker habe sie das Volksvermögen der DDR an Westdeutsche verschleudert und rücksichtslos Arbeitsplätze vernichtet. Aber auch jene, die differenzierter geurteilt hätten, hätten oft gesagt, sie sei gescheitert.
Aber unverdient war der schlechte Ruf nicht
Unverdient war der schlechte Ruf allerdings nicht. Bücher und Zuschriften mit vielen Beispielen und Erlebnissen geben darüber Auskunft. Doch davon kam bei dieser Veranstaltung nur in gelegentlichen, eher pflichtmäßigen Nebenbemerkungen etwas zum Ausdruck. Hier sollte vor allem Rohwedder gewürdigt werden. Doch geriet damit die Rückerinnerung zu sehr zu einer Selbstlob-Veranstaltung für alle jene, die an der Treuhandarbeit und ihren auch vielen Fehlhandlungen mitgewirkt haben. Schröder versuchte, die Kritik an der Treuhand darauf zu reduzieren, Betrügereien habe es im Zusammenhang mit der Treuhand auch gegeben, die aber habe die Treuhand zu einem guten Teil selbst aufgedeckt. Ohnehin sei nicht zu erwarten gewesen, „dass die Lumpen und Betrüger in Deutschland weniger werden, weil die Einheit kommt“.
Fehlhandlungen anderer Art
Aber die wesentlichen Fehlhandlungen der Treuhand sind von anderer Art gewesen als Betrügereien. Davon berichten können jene, die ehrlich auftraten, um sich am wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wiederaufbau zu beteiligen, aber von der Treuhand daran gehindert worden sind. Davon war von Schröder nichts zu vernehmen. Doch verstand er es, um Verständnis dafür zu werden, warum die wirtschaftliche Wiedervereinigung nicht nach dem ökonomischen Lehrbuch habe ablaufen können, denn die politische Wirklichkeit habe noch andere Aspekte berücksichtigen müssen, die er im Einzelnen aufführte. Schröder war es auch, der an Rohwedder als das einzige Todesopfer der deutschen Wiedervereinigung erinnerte.
Fehler, die Waigel einräumt
Bundesfinanzminister Schäuble würdigte die Person Rohwedder als Vorbild. Otto Gellert, einst stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Treuhand, schilderte Rohwedders Arbeit mit einem Zitat aus der FAZ als eine „Aufgabe von furchterregender Dimension“ und stellte Rohwedders Lebenswerk dar. Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel sprach ebenfalls von einer „Mammutaufgabe“ für Rohwedder; die Treuhand habe die schwierigste Aufgabe bei der deutschen Einheit zu bewältigen gehabt. Auch etwas Selbstkritik kam bei ihm vor: „Gewiss, wir haben uns am Umfang der Aufgabe und in der Zeitdauer geirrt, jawohl, aber das haben andere auch. … Es hat länger gedauert und ist teurer geworden als erwartet, aber 17 Millionen Menschen leben heute in Freiheit und Demokratie, und die Sicherheit ist eine andere.“ Auch räumte er ein: „Es ist vielleicht ein Fehler von mir gewesen, mit dem Erblastentilgungsfonds die Privat- zu Staatsschulden gemacht zu haben.“ Aber das war nicht bloß „vielleicht“ ein Fehler, sondern es war wirklich einer, und zwar ein schwerer.
Aber kein Wort über die schwerste Verfehlung
Doch zum schwersten Fehler äußerte sich Waigel lieber nicht: die Entscheidung der Bundesregierung unter Kohl mit Schäuble als Innenminister und Waigel als Finanzminister, mittels zweier Lügen die Rückgabe der Vermögenswerte an die politisch verfolgten Familien zu verhindern, die in der SBZ-Zeit von 1945 bis 1949 Opfer des kommunistischen Klassenkampfes geworden waren. Was die Kommunisten damals unter Vorwand enteigneten, wurde zu Staatseigentum, in der DDR „Volkseigentum genannt, und ging mit der deutschen Einheit in den Besitz der staatlichen Treuhand über, die es meistbietend zu verhökern hatte – der Staat, der sich Rechtsstaat nennt, als Hehler von Raubgut, der damit wie einst die Kommunisten eine schwere Verletzung des Eigentumsrechts begeht und vor allem schwerste Verbrechen gegen das Menschenrecht durch die Kommunisten nachträglich hinnimmt, indem er Unschuldigen die politische Rehabilitierung verweigert.
Die vergessenen „Alteigentümer“
Später in einer Gesprächsrunde mit Frau Breuel, mit Gellert, Johannes Ludewig und Odewald über das Thema „Die Treuhandanstalt in der Praxis“ hob Ludewig, dereinst Koordinator im Kanzleramt für die neuen Bundesländer, mehrmals hervor, wie schwer es damals gewesen sei, über Nacht Eigentümer von (anfangs) 8500 Betrieben geworden zu sein und dafür Käufer finden zu müssen. Aber niemandem in der Runde fielen auch nur im Entferntesten alle jene „Alteigentümer“ ein, die bereitstanden und liebend gern ihre Fabriken, Gewerbebetriebe und Agrarwirtschaften wieder übernommen hätten. Andere, selbst windigste Glücksritter und Betrüger, durften am Treuhandkuchen teilhaben, nur sie ausdrücklich nicht – eine so zynische wie törichte Entgleisung zugleich. Von der Rechtswidrigkeit der Rückgabeverweigerung ganz abgesehen.
Die nicht wahrgenommenen Verbrechen
Nach wie vor werden die kommunistischen Untaten in der SBZ von 1945 bis 1949 in der politischen und medialen Öffentlichkeit als bloße „Enteignungen“ wahrgenommen oder gar als Industriereform und Bodenreform, nicht als politische Verfolgung und grob rechtsstaatswidrige Verbrechen und Verstöße gegen Völkerrecht (Haager Landkriegsordnung) und Menschenrechte, nicht als „Klassenkampf“ gegen das gesamte Bürgertum mit seinen kleinen, mittleren und großen Unternehmern, das mit der Verfolgung und gleichzeitigen Vermögensentziehung als politischer Gegner physisch wie psychisch vernichtet werden sollte.
Die vergebene Chance
Hätten jene 635 000 Familien der „Alteigentümer“, denen die Kommunisten die Betriebe und alles sonstige Vermögen 1945 bis 1949 entrissen haben, dies ebenso zurückbekommen wie andere, die später von der DDR verfolgt und enteignet worden sind, wäre manches in den fünf neuen Bundesländern wirtschaftlich, rechtlich und moralisch besser gelaufen. Diejenigen, die die Rückkehr trotz größter (auch heimtückischer) Widerstände der von der SED durchsetzten Treuhand, ihrer Nachfolgegesellschaften, der sonstigen Behörden, der Gerichte, der Politiker geschafft haben, haben bewiesen, was rein private Initiative zum wirtschaftlichen Wiederaufbau und zur dringend benötigten Beschäftigung beitragen kann. Und beweisen es noch. Für die Zeit von 1945 bis 1989 sind insgesamt 2,169 Millionen Rückübertragungsansprüche gestellt worden. 700 000 bis 750 000 davon betreffen die Zeit von 1945 bis 1949, also 32 bis 35 Prozent. Was hätten die „Alteigentümer“ aus den Vermögenswerten, obwohl in der DDR-Zeit heruntergewirtschaftet daraus machen können. Und was hat der Staat mit der Treuhand daraus gemacht.