Der erste von Kommunisten in der SBZ, der zweite von Bundesregierungen, Bundestag und deutschem Rechtsstaat – Das Messen mit zweierlei Maß – Für Opfer politischer Verfolgung eine Zwei-Klassen-Gesellschaft – Ein jüngstes Beispiel – Deutschland als Rechtsstaat unglaubwürdig geworden
Mit zweierlei Maß wird staatlicherseits immer wieder gemessen. Auch in einem Land, das sich Rechtsstaat nennt. In Deutschland zum Beispiel gibt es für Opfer politischer Verfolgung eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Bürger, die in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) politisch verfolgt worden sind, behandelt der seit 1990 wiedervereinigte deutsche Staat nachteiliger als Bürger, die in der nachfolgenden sozialistischen DDR solche Opfer gewesen sind. Schlimmes widerfahren ist den Menschen in diesem Teil Deutschlands zu beiden Zeiten. Aber das an ihnen begangene Unrecht wenigstens zum Teil wiedergutzumachen, fällt unterschiedlich aus.
Für DDR-Opfer unter anderem ein Härtefall-Fonds geplant
Ein jüngstes Beispiel: Opfern der SED-Diktatur in der DDR will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mehr finanzielle Hilfen zuteilwerden lassen. Geplant ist, einen Härtefallfonds für politisch Verfolgte der einstigen DDR einzurichten sowie die SED-Opferrente an die Entwicklung der gesetzlichen Rente anzupassen, wenn die Lebenshaltungskosten gestiegen sind. Derzeit beziehen diese rund 38 000 Opfer eine Rente von monatlich 330 Euro. Auch sollen Opfer von Zwangsaussiedlungen aus dem Grenzgebiet der DDR eine Einmal-Zahlung von 1500 Euro bekommen. Das geht aus einem Referentenentwurf für ein entsprechendes Gesetz hervor.
SBZ-Opfer schmählichst im Stich gelassen
Opfer politischer Verfolgung gibt es aber auch aus der Zeit v o r der DDR, aus der Besatzungszeit von 1945 bis 1949, als dieser Teil Deutschlands Sowjetische Besatzungszone (SBZ) war. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 sind diese SBZ-Opfer ein zweites Mal beraubt worden, nun durch die Bundesregierung Kohl, durch die nachfolgenden Bundesregierungen, durch die Parlamentarier im Bundestag und durch die Justiz. Der deutsche Rechtsstaat hat sie schmählichst im Stich gelassen und ihnen die Rückgabe ihres von den Kommunisten entzogenen Eigentums verweigert. An diesen Raub ist immer wieder zu erinnern. Er ist noch immer wiedergutzumachen. Obwohl lange her – der erste Raub geschah vor über 75, der zweite vor 35 Jahren – ist ein Wiedergutmachen nach wie vor geboten und möglich, selbst wenn die an Jahren älteren Opfer derweilen gestorben sind. Es leben aber noch ihre Nachkommen.
Als Rechtsstaat unglaubwürdig geworden
Es war ein Schockerlebnis für mich, von 1990 an zu erleben, dass und wie der deutsche Staat und seine Politiker, politische Parteien und Gerichte gegen seine rechtsstaatliche Verpflichtung verstößt, unschuldigen Opfern kommunistischer Verfolgung in der Nachkriegszeit zur Rehabilitierung und möglichen Wiedergutmachung des angetanen Unrechts zu verhelfen. Als Rechtsstaat war er damit für mich erstmals unglaubwürdig geworden – in den Folgejahren dann mit Rechtsverstößen bis heute immer mehr. Ich messe den Staat mit den gleichen Maßstäben, mit denen er seine Bürger misst. Und er muss Vorbild sein. Der deutsche Staat ist in diesem Fall für Recht und Ordnung kein Vorbild.
Die falsche Behauptung der Regierung Kohl von der sowjetischen Bedingung
Es geht um den schweren Politik- und Rechtsskandal, weil die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl nachweislich fälschlich behauptet hat, sie dürfe den einstigen Opfern die damals enteigneten Vermögenswerte (Häuser, Betriebe, Fabriken, Schlösser, Grundstücke, Agrar- und Forstland, Kunstschätze) nicht zurückgeben. Das habe die Sowjetunion zur Bedingung für ihre Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung gemacht. Damals als FAZ-Redakteur habe ich geholfen nachzuweisen, dass die Sowjetunion das Rückgabeverbot nicht verlangt hat, dass die Bundesregierung den Bundestag und die Öffentlichkeit wider besseres Wissen, also absichtlich darüber getäuscht hat und dass sie, selbst wenn das Rückgabeverbot als unabdingbar verlangt worden wäre, diesem Verlangen (gemessen am Grundgesetz und Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts) nicht hätte entsprechen dürfen.
Der Unterschied zum amerikanischen Watergate-Skandal
Ich selbst habe diesen Skandal unter anderem mit diesem Satz zusammengefasst: „In seiner Dimension und in der Schwere der Verletzung von Grundrechten und von Pflichten stellt er den amerikanischen Watergate-Skandal von 1974 weit in den Schatten.“ Doch gibt es zwischen beiden Skandalen einen bedeutsamen Unterschied: Die Berichterstattung und Kommentierung über „Watergate“ hat zwei Jahre lang international die Medien beherrscht, auch sind die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden, doch bei diesem unvergleichlich gewaltigeren Politik- und Rechtsskandal in Deutschland ist alles dies nicht geschehen. Zwar war der Watergate-Fall in den USA dort damals politisch sehr brisant, aber, wenn man ihn mit diesem deutschen Skandal vergleicht, von weit geringerer rechtlicher Bedeutung.
Die Opfer sind zu rehabilitieren und der Staat als Hehler
Auch geht es keineswegs darum, die besagten Opfer der SBZ-Zeit für das ihnen angetane Unrecht zu „entschädigen“, sondern sie von dem falschen, ehrenrührigen Vorwurf „Kriegstreiber und Nazi-Aktivist“ zu befreien, sie also zu rehabilitieren und wieder in ihre wegen des Vorwurfs entzogenen Rechte einzusetzen, ihnen also auch ihr Eigentum zurückzugeben, soweit es noch verfügbar ist. Aber verfügbar ist es heute meist nicht mehr, weil es der deutsche Staat an Fremde verhökert hat, obwohl es ihm nicht zustand. Er darf daher auch, wie das Kammergericht in Berlin entschieden hat, ungestraft der Hehlerei bezichtigt werden.
Als die SBZ-Opfer das Entsetzen packte
Damals vor 35 Jahren, als sich die deutsche Wiedervereinigung abzeichnete, war es für die Opfer und ihre Familien selbstverständlich, dass sie ihr in der SBZ-Zeit entzogenes Eigentum zurückbekommen würden. In den Jahrzehnten vor 1989/90 hatten sie sich von einer breiten politischen Mehrheit darin unterstütz gesehen. Doch packte sie bald Entsetzen, als ihnen klar wurde, dass eine Rückgabe, die fälschlich und irreführend meist Restitution genannt wird, keineswegs beabsichtigt war. Das Unglück für sie begann mit der Gemeinsamen Erklärung zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990, vereinbart von den Regierungen der BRD und DDR.
„… sind nicht mehr rückgängig zu machen“
Dort lasen sie: „Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rückgängig zu machen. Die Regierung der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Möglichkeit, die damals getroffenen Maßnahmen zu revidieren.“ Die Bundesregierung nahm dies „im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis“, äußerte dabei aber die „Auffassung“, eine „abschließende Entscheidung über etwaige staatliche Ausgleichsleistungen“ müsse einem künftigen gesamtdeutschen Parlament vorbehalten bleiben.
Was nicht mehr rückgängig zu machen ist, lässt sich aber wiedergutmachen
An sich zwar sind diese Sätze in ihrem Wortlaut nicht zu beanstanden, denn rückgängig machen lassen sich die damaligen Verfolgungsmaßnahmen in der Tat nicht, geschehen ist geschehen, aber wiedergutmachen durchaus, nämlich durch Rückgabe dessen, was noch vorhanden und in nicht-gutgläubiger Hand war, sowie durch moralische Rehabilitierung. Doch die maßgeblichen Politiker und später die Gerichte stellten sie als „Restitutionsverbot“ dar und wollten darunter ein „Rückgabeverbot“ für die entzogenen Vermögenswerte verstanden wissen.
Vertrieben, enteignet, verhaftet, verurteilt, verschleppt, umgebracht
Wie ist dieser „Entzug“ damals abgelaufen? Unter dem Deckmantel einer sogenannten „Reform“ als „Bodenreform“ und „Industriereform“ getarnt ließ sich dieses Vorgehen, dieser kommunistisch geführte Klassenkampf, politisch gut verkaufen. Aber eine Reform im rechtsstaatlichen Sinn, war es natürlich überhaupt nicht. Die verfolgte Bevölkerungsgruppe musste Haus und Betrieb binnen Stunden verlassen, durfte nur das Nötigste mitnehmen, wurde meist auch verhaftet, in geheimen Schnellverfahren abgeurteilt, verschleppt, umgebracht, verlor sämtliches Vermögen. Für alle Familienmitglieder galt Sippenhaft wie einst für die Familien der Hitler-Attentäter während der Nazi-Herrschaft.
Auch die westlichen Besatzungsmächte bestraften mit Enteignungen
Allerdings wurde nicht nur unter der sowjetischen Besatzungsmacht enteignet und „reformiert“. Auch unter den drei westlichen Besatzungsmächten geschah das. Auch hier wurde Land umverteilt, freilich sehr begrenzt. Aber eben nicht als Klassenkampf, sondern nur, um die tatsächlichen Nazis und Kriegsverbrecher zu bestrafen. Rechtskräftig Verurteilte kamen für Jahre in Arbeitslager, und auch ihr Vermögen wurde eingezogen. Es war die Zeit der „Entnazifizierung“, nahezu alle wurden überprüft.
Aber die unschuldig Enteigneten durften sich später wehren
Aber nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland (BRD) 1949 und dem Erlass des Grundgesetzes (GG) wurde ein Gesetz geschaffen, das dafür sorgen sollte, dass diejenigen, die unter der Ägide der westlichen Siegermächte zu Unrecht als Nazis und Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt wurden – die Betroffenen hatten sich ursprünglich nicht verteidigen dürfen – sich nunmehr zur Wehr setzen konnten. Das ermöglichte Menschen, die sich als unbelastet und unschuldig betrachteten, Beweise für ihre Unschuld vorzulegen. Gelang der Beweis, bekamen diese Menschen ihr eingezogenes Vermögen zurück.
In der SBZ fand pauschale Verfolgung und Klassenkampf statt
In der sowjetischen Besatzungszone lief das ganz anders. Hier wurde aus dieser durchaus gerechtfertigten Bestrafung der an der Kriegsschuld und an den Gräueltaten beteiligten Personen anders als im westlichen Besatzungsteil Deutschlands eine politische und pauschale Verfolgung einer ganzen politischen Klasse von Menschen. Sie konnten sich nicht wehren, konnten die Beschuldigungen später auch nicht Dank eines Gesetzes entkräften. Denn den Kommunisten in der SBZ ging es darum, eine gesellschaftliche Klasse von Menschen auszurotten, die nicht in die kommunistische Ideologie der Sowjets und ihrer deutschen Mitläufer passten, allen voran Industrielle, Unternehmer des Mittelstands, Gewerbetreibende, Adlige und Großgrundbesitzer, also die großbürgerliche Klasse. Diese vielen verfolgten Menschen waren nahezu vogelfrei. Das war alles andere als nur eine „Boden- und Industriereform“.
Über 1,8 Millionen Menschen als Opfer der SBZ-Verfolgung
Nach meinen damaligen Archivunterlagen handelt es sich um rund 610 000 Fabrikbesitzer, mittelständische Unternehmer und einzelverfolgte Personen sowie um 7 136 Großlandwirte mit jeweils über 100 Hektar, 4 278 kleinere Landwirte mit unter 100 Hektar, insgesamt also über 621 000 Menschen. Aber zusammen mit ihren Familienmitgliedern sind es mindestens dreimal so viel, also mehr als 1,8 Millionen. Rund weiteren 70 000 Familien hat der seit 1990 gesamtdeutsche Staat das einst zugeteilte und geerbte Bodenreformland nachträglich und entschädigungslos wieder abgenommen, um es aus fiskalischen Gründen ebenfalls zu verkaufen. Die Opfer in der Industrie und im gewerblichen Mittelstand werden in der öffentlichen Diskussion oft leider gar nicht erwähnt.
Die Ungleichbehandlung von SBZ- und DDR-Vderfolgten
Das Bundesfinanzministerium hat im Jahr 2000 aus dem Kreis der Opfer mit Vermögensentzug rund 625 000 Rückgabeanträge registriert. Darin enthalten sind aber auch die Anträge jener Menschen, die der DDR-Staat verfolgt und um ihr Vermögen gebracht hat. Denn auch in der DDR-Zeit sind unrechtmäßige Enteignungen vorgekommen. Aber diese Enteignungen durften nach 1990 „rückgängig“ gemacht werden. In solchen Verfahren wurde und wird dieses Eigentum zurückgegeben. Darin sehen die Opfer der SBZ-Zeit zu Recht eine Ungleichbehandlung und schwere Diskriminierung: Wer durch die DDR sein Eigentum verlor, bekommt es zurück, wer es als Unschuldiger und politisch schwer Verfolgter in der Besatzungszeit verlor, bekommt es nicht. Das ist rechtswidrig und darf in einem Staat, der vorgibt, Rechtsstaat zu sein, nicht geschehen.
Eine bitter enttäuschte Hoffnung
Mit der Wiedervereinigung hatten viele Opfer oder deren Nachfahren wieder Hoffnung geschöpft. Bis dahin hatte es Hoffnung nicht gegeben. Eine Wiedervereinigung galt als nicht möglich. Sie wurde in der Bundesrepublik auch gar nicht mehr betrieben, sie war politisch sogar ungelegen. In der DDR ohnehin. Es kam dann, wie wir wissen, unversehens anders. Aber die Hoffnung der SBZ-Opfer wurde bitter enttäuscht.
Der Hauptgrund für die Nichtrückgabe war ein fiskalischer
Warum hat ihnen die Regierung von Helmut Kohl die Rückgabe des widerrechtlich entzogenen Eigentums verweigert? Der Hauptgrund war ein fiskalischer. In der DDR lag alles am Boden. Die Fabriken waren veraltet und marode, die Häuser heruntergekommen, die Straßen abgenutzt und Schlaglochstrecken. Es war rundum ein ruiniertes Land. Hier war ein riesiger Wiederaufbau zu finanzieren. Dazu kam die in der DDR versteckte Arbeitslosigkeit. Wohin mit den überflüssigen Arbeitskräften? Wie ihre Arbeitslosigkeit finanzieren? Wie die DDR-Rentner? Wie die Umstellung der DDR-Währung auf die D-Mark? Über diese gewaltigen Kosten der Wiedervereinigung und die damit verbundene Finanzierungsaufgabe musste sich die Regierung zwangsläufig Gedanken machen. Hierbei kam es zu der Idee, das geraubte Vermögen, also die Ländereien, Fabriken, Grundstücke und Häuser, die DDR-Staatseigentum („Volkseigentum“) geworden waren, in gesamtdeutscher Staatshand zu belassen, um sie verkaufen zu können. Mit dem Verkaufserlös sollten dann die Kosten der Deutschen Einheit bestritten werden. Diese Rechnung ging, wie wir heute wissen, überhaupt nicht auf. Der Verkauf endete in einem Desaster, denn der Staat musste am Ende sogar drauflegen.
Politiker, die bei der Wiedervereinigung und dem zweiten Vermögensraub eine Rolle spielten, waren Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Theo Waigel, Roman Herzog, Lothar de Maiziere und Günther Krause. Kohl hat als damaliger Bundeskanzler den Bundestag belogen.
Die Lüge der Bundesregierung und die von Helmut Kohl
Die Lüge ist die Behauptung von der vorgeblichen, schon erwähnten sowjetischen Bedingung. Sie lautete nach Darstellung der Bundesregierung, eine Wiedervereinigung sei nur dann möglich, wenn die „Bodenreform“ der Jahre 1945 bis 1949 nicht rückgängig gemacht würde. Die „Industriereform“ fiel dabei meist unter den Tisch, aber auch sie war damit gemeint. Diese Bedingung hat die Regierung als ein Rückgabeverbot dargestellt, auch Helmut Kohl. Dies hat er am 30. Januar 1991 im Bundestag bekräftigt:
„Der Fortbestand der Maßnahmen zwischen 1945 – 1949 wurde von der Sowjetunion zu einer Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht. Ich sage klar: Die Einheit Deutschlands durfte an dieser Frage nicht scheitern.“
Was die Sowjetunion wirklich verlangt hatte
Aber das ist eine bewusste Falschdarstellung und Irreführung. Die Sowjetunion hatte lediglich das verlangt, was jede Siegermacht in Nachkriegsverträgen verlangt: Sie will für ihre Rechtsverstöße völkerrechtlich nicht belangt werden. Nur dieses Indemnitätsverlangen ist die sowjetische Bedingung gewesen. Sie als Rückgabeverbot hinzustellen, ist eine Täuschung, eine Lüge. Den Russen war es völlig egal, wie Deutschland mit den Opfern umgehen würde, das war deutsche Angelegenheit, nicht mehr ihre, die Vermögen lagen auf deutschem Staatsgebiet.
Das spätere Russland hat SBZ-Opfer sogar selbst rehabilitiert
Russland hat sogar selbst viele Menschen rehabilitiert, die in der SBZ unter sowjetischer Herrschaft verfolgt und enteignet worden waren. Die Unterlagen dieser Zeit zwischen 1945 und 1949 waren alle (und sind wohl noch immer) in russischen Archiven verfügbar. Die Sowjets haben Namen und Fakten damals mit einer schon fast preußisch anmutenden Akribie gesammelt. Die russische Militär-Oberstaatsanwaltschaft in Moskau hat die damaligen Urteile gegen 10 091 Deutsche überprüft. Dabei hat sich ergeben, dass über 90 Prozent dieser Urteile rechtswidrig gewesen waren und die Staatsanwaltschaft die Opfer daher rehabilitiert hat. Russland hat damit einen großen Beitrag an Wiedergutmachung geleistet – aber ausgerechnet Deutschland gegenüber den eigenen Landsleuten nicht. Im Gegensatz zu jenen Beschuldigten, die damals nach dem Krieg bei der Entnazifizierung durch die westlichen Siegermächte ihre Unschuld beweisen durften, wurde und wird im heutigen wiedervereinigten Deutschland die Rehabilitierung verweigert, wenn damit verbunden wäre, dass der Fiskus die Vermögenswerte, falls noch verfügbar, zurückgeben oder im anderen Fall den Verkaufserlös herausrücken müsste.
Nicht alle Bundestagsabgeordnete stimmten dem zweiten Raub zu
Immerhin haben 112 von damals 490 anwesenden Bundestagsabgeordneten haben bei der Ratifizierung des Einigungsvertrages am 20. September 1990 in einer Protesterklärung schriftlich niedergelegt, dass sie dem Vertrag nur deshalb zustimmen, um die deutsche Einheit nicht zu gefährden. Sie lehnten es ausdrücklich ab, das Unrecht gegenüber den SBZ-Opfern fortzuschreiben. Sie fühlten sich überrumpelt, vergewaltigt und hatten große rechtliche Bedenken. 47 stimmten gegen den Vertrag.
Das Bodenreformland als vorgebliche DDR-Bedingung
Die Verweigerung, das für die „Bodenreform“ enteignete Agrarland zurückzugeben, kam vielen in den neuen Bundesländern sehr gelegen. DDR-Bürger, die noch über Bodenreformland verfügten, hatten Angst, dieses Eigentum an die früheren Eigentümer und Familien der ehemaligen Opfer zu verlieren. Aber diese Angst wurde geradezu geschürt, vor allem von Lothar de Maiziere, dem ersten und letzten frei gewählten DDR-Ministerpräsidenten, ebenso auf westdeutscher Seite. Auch der Bundesregierung kam dieses Angstargument aus fiskalischen Gründen sehr zupass. Man befürchtete in der Tat, dass diejenigen DDR-Bürger, die noch Bodenreformland besaßen, dieses wieder herausrücken müssten. Lothar de Maiziere versuchte, daraus eine Bedingung der DDR zur Wiedervereinigung zu machen. Aber die erste frei gewählte Volkskammer und auch er selbst hatten gar keine andere Wahl, als der BRD beizutreten. Sie konnten solche Bedingung gar nicht mehr durchsetzen, weil sie politisch zu sehr geschwächt waren. Die Volkskammer wäre schlicht von der Bevölkerung gestürmt worden, hätte sie sich nur wegen der Nichtrückgabe von Bodenreformland als Bedingung gegen die Wiedervereinigung ausgesprochen. Die Menschen in der DDR wollten zur BRD und zur D-Mark. Die Parole war: „Wenn die D-Mark nicht zu uns kommt, dann gehen wir zur D-Mark.“ Die Grenze war ja nun offen.
Die Gerichte haben fast alle Klagen der Opfer abgewiesen
Natürlich sind die Opfer in den Jahren nach der Wiedervereinigung vor Gericht gezogen – teils durch alle Instanzen bis hin zum Bundesverfassungsgericht, wenn sie es sich finanziell leisten konnten. In der Regel wurden sie – mit wenigen Ausnahmen bei Besonderheiten – abgewiesen. In allen Köpfen geisterte nach wie vor die verfälschte sowjetische Bedingung herum, auch in denen der Richter. Politiker und Parteien haben sie geradezu gepflegt. Es ist unglaublich schwierig, diese verfälschte Bedingung in das wahre Licht zu rücken. Rückgabe des Eigentums oder Erlösauskehr waren und sind politisch wie fiskalisch nicht gewollt. Eine amtliche, eine staatliche Richtigstellung gibt es daher nicht.
Die Richter beugten sich dem Zeitgeist und damit das Recht
Das haben die Richter verinnerlicht. Sie beugten sich dem Zeitgeist und Mainstream, obwohl die gesetzlichen Regelungen Rehabilitierung und dann Rückgabe oder Erlösauskehr nicht nur ermöglichen, sondern sogar gebieten.**) Doch den Regelungen zu folgen und zu entscheiden, was politisch nicht gewollt ist, schadet der Karriere. Ein Verwaltungsrichter in Dresden, der das zugunsten von „Alteigentümern“ versucht hat, auch mit einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, wurde wenig später an ein Registergericht versetzt, wo er keinen politischen Schaden mehr anrichten kann. Mit juristischer Raffinesse und Spitzfindigkeit legen die Gerichte die Gesetzeslage, die zugunsten der Opfer an sich richtig ist, so aus, dass das gewollte Ergebnis herauskommt. Es handelt sich um Rechtsbeugung. Nur in besonders gelagerten Einzelfällen sind Rückgabe oder Erlösauskehr gelungen. Doch würde es hier zu weit führen, die individuell verschiedenen Fallgruppen und daher sehr unterschiedlichen Rechtsfälle beschreiben zu wollen. Die Sache ist sehr komplex und erfordert hohes juristisches Spezialwissen.
Verweigerte Wiedergutmachung ist rechtsstaatswidrig
Dass Russland die sowjetischen Fehlentscheidungen in vielen Fällen benannt und deren Opfer rehabilitiert hat, blieb aber in Deutschland für diese Opfer ohne Erfolg. Dort wurden sie mit dem Hinweis abgefertigt „Die Russen können rehabilitieren, wen immer sie wollen, aber dann handelt es sich lediglich um eine moralische Rehabilitierung, die keine Verpflichtung zur Rückgabe oder Erlösauskehr nach sich zieht“. Das ist natürlich eine absurde Haltung, denn „moralisch“ ist eine Rehabilitierung per se, wurde doch zuvor jemand zu Unrecht verurteilt. Zur Rehabilitierung gehört die Wiedergutmachung des vermögenswirksamen Unrechts zwingend dazu. Wer sie verweigert, handelt rechtsstaatswidrig.
_______________________________________
*) Lübecker Nachrichten vom 16. Mai 2024, Seite 5.
**) Siehe hierzu meinen Beitrag auf dieser Blog-Seite vom 25. April 2014 „Wie deutsche Rechtsprechung versagt“ (hier).