Eine bessere Welt ist möglich

Prof. Dr. iur. Alfred de Zayas: Wir brauchen 2024 und darüber hinaus einen großen Umschwung – An guten Ideen mangelt es nicht, aber sie und Fakten allein verändern die Dinge nicht – Vorschläge, die die Welt braucht, will das Establishment nicht umsetzen – Den Grundsatz „Macht macht Recht“ ersetzen durch „Recht ist Macht“

Nicht miteinander mögen sie leben, sondern gegen einander treten sie auf, die Kulturen, die  auf der Erde bestehen. Es findet ein Kampf der Kulturen statt. Eigentlich schon immer. Aber wahrgenommen und besonders gefürchtet wird stets, was aktuell geschieht. Islamische und schwarzafrikanische Migranten überschwemmen (gesteuert) westeuropäische Länder, vor allem Deutschland. Das Weltgeschehen befindet sich im Umbruch. Die Macht der westlichen Welt mit ihrem Hegemon USA und seinen europäischen Vasallenstaaten bröckelt. Bislang willfährige Länder beginnen, sich zu emanzipieren. Dazu Gedanken gemacht hat sich zum Ende des „annus horribile“ 2023 und zum  Beginn von 2024 jüngst der auf konservative Weise liberale Völkerrechtswissenschaftler Alfred de Zayas.*) Dafür, dass eine bessere Welt möglich sei, tritt er unermüdlich ein. Nun verlangt er: „We need a great upshift in 2024 and beyond“ (Wir brauchen 2024 und darüber hinaus einen großen Umschwung).

Einen Kampf der Kulturen ablehnen

Es liege an uns, das Konzept eines „Kampfes der Kulturen“ abzulehnen und stattdessen das Konzept eines Bündnisses der Kulturen anzunehmen. Wir müssten das Recht auf Selbstbestimmung aller Völker bekräftigen, müssten die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen zurückweisen. Eine großzügige Weltverfassung in Form der UN-Charta hätten wir bereits, und es sei heute wichtiger denn je, dass wir uns erneut zu dem übergeordneten Prinzip des Friedens zwischen den Nationen und Kulturen bekennten. So sei es auch unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kriege in der Ukraine, in Palästina und anderswo durch diplomatische Verhandlungen beendet würden und dass ein Modus Vivendi geschaffen würde, der nachhaltig sei. Als Ziel sieht de Zayas, Gerechtigkeit für alle Parteien zu erreichen, aber nicht nach „Sieg“ und „Winner takes all“ zu streben. Es gelte, den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen.

Contra Great Reset des Weltwirtschaftsforums, pro der Ansicht von Elon Musk

Der erheblichen Hindernisse, die jeder Art von Veränderung im Weg stünden, ist sich de Zayas bewusst. Er verweist auf festgefahrene wirtschaftliche Interessen, die von einer enormen Trägheit zeugten. Unternehmen und Finanzinstitute scheuten sich davor, Abenteuer zu erleben, die ihre Gewinne gefährden könnten. Inzwischen glaube er nicht, dass der sogenannte „Great Reset“, den das Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt habe, einen Mehrwert bringe. Er neige dazu, Elon Musk zuzustimmen, dass „das Weltwirtschaftsforum zunehmend zu einer nicht gewählten Weltregierung wird, die die Menschen nie gefordert haben und auch nicht wollen“. Dass im Hintergrund auch andere Akteure Totalitäres, Herrschaftssucht und Macht über alles und alle im Sinn haben, erwähnt de Zayas nicht, wird aber darüber unterrichtet sein.

Hoffnungen, die unerfüllt geblieben sind

An guten Ideen, die Dinge zu ändern, so de Zayas, mangele es nicht. Aber aus Erfahrung wisse man, „dass Fakten allein die Geschichte nicht verändern“. In der Tat gebe es Fakten ohne Konsequenzen, Fakten, die als unbequem und „annulliert“ angesehen und abgelehnt würden. Der Völkerrechtler de Zayas zählt die vielen Bücher auf, auf deren inhaltlichen Anstöße seine Hoffnung geruht habe. Es seien Bücher, die darüber informierten, dass Staats- und Regierungschefs in Washington und Brüssel eine destruktive und oft kriminelle Politik verfolgten sowie sogenannte Farbrevolutionen und Regimewechsel in anderen Ländern anzettelten, und darüber, wie Finanz- und Wirtschaftsterror funktioniere. Auch darüber, wie ein konstruktives Arrangement zwischen Israelis und Palästinensern hätte zustande kommen können – und noch könnte, wenn es denn wirklich gewollt wäre. Man habe gehofft, dass andere Bücher (Owen, Sassoon, Remarques) „unsere Kriegssucht gedämpft“ und die Warnungen der Bücher von Orwell und Huxley sowie die Enthüllungen von Wikileaks und Snowden „unseren Abstieg in den Totalitarismus“ verhindert hätten. Erfüllt haben sich die Hoffnungen nicht.

Das Establishment sperrt sich

Leider wolle das militärische, industrielle, finanzielle, mediale und digitale Establishment keinen der Vorschläge umsetzen, die die Welt brauche. Anstatt die Forschungen und Vorschläge von Denkern wie Richard Falk und Jeffrey Sachs zu würdigen, erfreuten sich die Mainstream-Medien an der simplen und völlig unrealistischen Vision von Francis Fukuyamas Schundbuch The End of History.

Veröffentlicht hat de Zayas den Text auf seiner Web-Seite Human Rights Corner („Menschenrechtsecke“) am 8. Dezember hier. Zu diesem Zeitpunkt deshalb, weil zwei Tage später, am 10. Dezember, der 75. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bevorstand. Seinen Beitrag im vollständigen Wortlaut finden Sie anschließend unten. Wo der Autor zwischen den Textabsätzen nicht selbst Überschriften eingefügt hat, habe ich das getan; sie ermöglichen ein leichteres und schnelleres Aufnehmen des Inhalts. Der überaus kundige und sich stets offen wie kritisch äußernde Völkerrechtler de Zayas ist im Hauptstrom der Meinungen unbeliebt und wird dort mit seinen Äußerungen entsprechend unterdrückt. Nicht auf dieser Blog Seite.

Wir brauchen 2024 und darüber hinaus einen großen Umschwung

In der Ukraine, in Palästina und anderswo einen modus vivendi schaffen, der nachhaltig ist – Statt Kampf der Kulturen ein Bündnis der Kulturen – Hindernisse, die jeder Veränderung im Weg stehen  – Was die vielen Bücher hätten bewirken können, aber nicht bewirkt haben – Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit aufgedeckt, aber von den Mainstream-Medien ignoriert – Kriegssucht nicht gedämpft, Abstieg in den Totalitarismus nicht verhindert – Prioritäten für 2024 und darüber hinaus – Den Informationskrieg gewinnen, einen Aktionsplan formulieren, unsere Demokratie zurückerobern

Von Prof. Dr. iur. Alfred de Zayas

Mit Optimismus begrüße ich die Veröffentlichung eines neuen Buches von Erwin László und David Lorimer, The Great Upshift [1], ein kollektives Werk von 35 internationalen Wissenschaftlern, darunter auch ich. Das Buch bietet nicht nur eine Diagnose unserer aktuellen Governance-Probleme, sondern formuliert auch eine realistische Prognose, begleitet von konkreten, pragmatischen und umsetzbaren Vorschlägen.

Zweifellos ist die Welt im Umbruch, und die globale Mehrheit distanziert sich allmählich von der unipolaren Welt, die wir nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch der Sowjetunion kannten. Wir erleben einen wachsenden Widerwillen vieler Länder Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, der „Führung“ des „kollektiven Westens“ zu folgen, dessen Politik sich als kontraproduktiv und unvereinbar mit den legitimen Interessen der Mehrheit der UN-Mitgliedstaaten erwiesen hat.

Ein langsamer Prozess der Entdollarisierung [2] des internationalen Handels ist im Gange, und er wird zweifellos so lange andauern, wie die Vereinigten Staaten darauf bestehen, den Dollar als Waffe einzusetzen und ihn als Druck- und Erpressungsinstrument einzusetzen. Die langfristigen Folgen für den Wert des Dollars und für die Aussichten der US-Wirtschaft werden beträchtlich sein.

In der Ukraine, in Palästina und anderswo einen modus vivendi schaffen, der nachhaltig ist

Von Seneca kennen wir die Maxime calamitas virtutis occasio [3]. Eine Katastrophe, eine Katastrophe oder ein Großereignis, ist eine gute Gelegenheit, sich zu beweisen. Es liegt also an uns, die Veränderung zu sein, die wir wollen, uns von den alten imperialistischen und kolonialistischen Paradigmen zu verabschieden und eine neue multipolare Weltordnung anzunehmen, in der Multilateralismus und internationale Solidarität die Regel und nicht die Ausnahme sind. Das ist nicht nur Rhetorik, sondern unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Kriege in der Ukraine, in Palästina und anderswo durch diplomatische Verhandlungen beendet werden und dass ein Modus Vivendi geschaffen wird, der nachhaltig ist. Das Ziel ist es, Gerechtigkeit für alle Parteien zu erreichen, nicht nach „Sieg“ und „Winner takes all“ zu streben. Es gilt, den Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen.

Eine bessere Welt ist möglich

Eine bessere Welt ist möglich, wie wir aus dem Weltsozialforum, Porto Alegre, der Agenda 21, den Konventionen der IAO, der UNESCO und der WHO wissen, aus dem universellen Engagement für die Rettung der Umwelt, aus den vielen Initiativen zwischenstaatlicher und nichtstaatlicher Organisationen wie dem Internationalen Institut für Friedensforschung in Genf [4], um die Probleme von Frieden und Krieg, globaler Erwärmung und Pandemien anzugehen.

Statt Kampf der Kulturen ein Bündnis der Kulturen

Wir haben bereits eine großzügige Weltverfassung in Form der UN-Charta, und es ist heute wichtiger denn je, dass wir uns erneut zu dem übergeordneten Prinzip des Friedens zwischen den Nationen und Kulturen bekennen. Es liegt an uns, das Konzept eines „Kampfes der Kulturen“ abzulehnen und stattdessen das Konzept eines Bündnisses der Kulturen anzunehmen. Wir müssen das Recht auf Selbstbestimmung aller Völker bekräftigen, und nicht nur der „Völker“, die wahrscheinlich unsere Vasallen sein werden. Wir müssen die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Nationen zurückweisen. Wir müssen die Spiritualität der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiederentdecken, deren 75. Jahrestag wir am 10. Dezember feiern.

Hindernisse, die jeder Veränderung im Weg stehen

Gleichzeitig sollten wir nicht naiv sein. Wir alle müssen uns der erheblichen Hindernisse bewusst sein, die jeder Art von Veränderung im Wege stehen. Festgefahrene wirtschaftliche Interessen zeugen von einer enormen Trägheit. Unternehmen und Finanzinstitute scheuen sich davor, Abenteuer zu erleben, die ihre Gewinne gefährden könnten. Inzwischen glaube ich nicht, dass der sogenannte „Great Reset“, den das Weltwirtschaftsforum in Davos angekündigt hat, einen Mehrwert bringt. Ich neige dazu, Elon Musk zuzustimmen, dass „das Weltwirtschaftsforum zunehmend zu einer nicht gewählten Weltregierung wird, die die Menschen nie gefordert haben und auch nicht wollen“.

An guten Ideen mangelt es nicht, aber sie und Fakten allein verändern die Dinge nicht

Im Gegensatz dazu fordert uns das Buch The Great Upshift auf, unsere Prämissen radikal zu überdenken und zu einer neuen Synthese zu gelangen. An guten Ideen mangelt es nicht. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass Fakten allein die Geschichte nicht verändern. In der Tat gibt es Fakten ohne Konsequenzen, Fakten, die als unbequem und „annulliert“ angesehen werden, Fakten, die abgelehnt werden. Ebenso gibt es Bücher ohne Follow-up.

Was die vielen Bücher hätten bewirken können, aber nicht bewirkt haben

Wir hätten gedacht, dass Stephen Kinzers Buch „Umsturz“ Washington von seiner Politik der Finanzierung sogenannter Farbrevolutionen und „Regimewechsel“ abgebracht hätte. Wir hätten erwartet, dass die brillante Analyse von John Mearsheimer in seinem Buch The Great Delusion [5] die Neokonservativen in Washington aus dem Geschäft gedrängt hätte. Die bahnbrechende Schock-Doktrin [6] von Naomi Klein und das Tagebuch eines Wirtschaftskillers von John Perkins zeigten uns, wie Finanz- und Wirtschaftsterror funktioniert, und dennoch funktionieren die Institutionen weiter wie bisher. Wir hätten gehofft, dass Jeffrey Sachs „Der Preis der Zivilisation“ [7] und „Das Ende der Armut“ uns einer gerechten Weltordnung näher gebracht hätten. Wenn genügend Menschen Jimmy Carters „Palästina-Frieden – nicht Apartheid“ [8] und Norman Finkelsteins Buch „GAZA“ [9] gelesen hätten, hätte vielleicht ein konstruktives Arrangement zwischen Israelis und Palästinensern zustande kommen können.

Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit aufgedeckt, aber von den Mainstream-Medien ignoriert

Die vielen Bücher von Professor Richard Falk, Francis Boyle, William Bloom und Norman Solomon haben uns hervorragende Blaupausen für die Zukunft gegeben. Auch mein Kollege, der UN-Berichterstatter Professor Nils Melzer, veröffentlichte 2022 das Buch The Trial of Julian Assange [10], das die Entführung der Rechtspflege in den USA, Großbritannien, Schweden und Ecuador zu „Lawfare“-Zwecken und die Zerstörung der „Rechtsstaatlichkeit“ aufdeckte – weitaus schlimmer als die Dreyfus-Affäre von 1898. In der Tat würde ich Professor Melzer gerne als den Emile Zola des 21. Jahrhunderts bezeichnen – aber die Mainstream-Medien ignorierten Melzer und das Buch ebenso wie die Forderung nach einer Charta der Rechte von Whistleblowern.

Kriegssucht nicht gedämpft, Abstieg in den Totalitarismus nicht verhindert

Man hätte gehofft und gebetet, dass Wilfried Owens Hymne für die todgeweihte Jugend, Siegfried Sassoons Lyrik, Erich Maria Remarques Roman „Alles still an der Westfront“ unsere Kriegssucht gedämpft hätten, dass George Orwells und Aldous Huxleys Warnungen, Wikileaks und Edward Snowdens Enthüllungen unseren Abstieg in den Totalitarismus verhindert hätten.

Vorschläge, die die Welt braucht, will das Establishment nicht umsetzen

Leider will das militärische, industrielle, finanzielle, mediale und digitale Establishment keinen der Vorschläge umsetzen, die die Welt braucht. Anstatt die Forschungen und Vorschläge von Denkern wie Richard Falk und Jeffrey Sachs zu würdigen, erfreuten sich die Mainstream-Medien an der simplen und völlig unrealistischen Vision von Francis Fukuyamas Schundbuch The End of History [12], einem Bestseller der New York Times, der von der Washington Post als „großartig“ und „Meilenstein“ gefeiert wurde.

Meine UN-Berichte und die anderer UN-Kollegen höflich aufgenommen, dann aber sehr schnell abgelegt und vergessen

In meiner Funktion als unabhängiger Experte der Vereinten Nationen für internationale Ordnung habe ich in den Jahren 2012 bis 2018 vierzehn Berichte für die UN-Generalversammlung und den UN-Menschenrechtsrat erstellt, mehr als hundert Medienerklärungen, Pressemitteilungen und Info-Notes herausgegeben und an Konferenzen und Konsultationen in vielen Ländern teilgenommen [13]. Ich habe verstanden, dass wir UN-Berichterstatter kaum mehr als eine Ansammlung von Kassandras sind und dass unsere Berichte höflich aufgenommen werden, dann aber sehr schnell abgelegt und vergessen werden. Es gibt keinen Follow-up-Mechanismus, um zu überwachen, ob eine unserer Empfehlungen jemals umgesetzt wird.

Meine 25 Prinzipien der internationalen Ordnung weitgehend ignoriert

Meine 25 Prinzipien der internationalen Ordnung, die ich im März 2018 dem Menschenrechtsrat vorgelegt und in Kapitel 25 meines Buches „Building a Just World Order“ [14] weiterentwickelt habe, hatten keine unmittelbare Wirkung. Tatsächlich wurden sie weitgehend ignoriert. Nur einige fortschrittliche NGOs wie das Geneva International Peace Research Institute, TFF, CETIM, South Centre und meine eigenen Studenten an der Geneva School of Diplomacy und an der Universität Genf haben Interesse an ihnen gefunden.

Im zweiten und dritten Buch meiner „Menschenrechts-Trilogie“ – Countering Mainstream Narratives [15] und The Human Rights Industry [16] – gehe ich auf zahlreiche Probleme ein, die das Überleben der Menschheit bedrohen, darunter die Gefahr eines Atomkriegs, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen einschließlich biologischer und chemischer Waffen, künstliche Intelligenz, globale Erwärmung, Ökozid, Pandemien, Naturkatastrophen.

Macht, Zynismus, Gier und schlichtweg menschliche Dummheit

Auf einer anderen Ebene befasse ich mich mit den Ursachen vieler menschengemachter Probleme, insbesondere der Desinformationskampagnen, die von Regierungen und dem Privatsektor vorangetrieben werden, der westlichen Fokussierung auf kurzfristige Profite auf Kosten künftiger Generationen, der Straflosigkeit transnationaler Konzerne und Monopole, der vorsätzlichen Abholzung von Wäldern, der Verschmutzung von Ozeanen und Flüssen. Es gibt ein Muster der anti-ökologischen Ausbeutung natürlicher Ressourcen, das die wirtschaftliche Entwicklung vieler Nationen in Asien, Afrika und Lateinamerika verhindert, viele unter dem Joch monströser Auslandsschulden und erleichtert durch offizielle Korruption, Steueroasen, Privilegien, strukturelle Gewalt und oft gekennzeichnet durch den Narzissmus der Macht, Zynismus, Gier und schlichtweg menschliche Dummheit. Die Ausbeutung indigener Völker in Nord- und Südamerika, in Südostasien, in Australien usw. geht weiter. Die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker [17] wird nicht umgesetzt, und die Chimäre der „freien, vorherigen und informierten Zustimmung“ ist eine Illusion. Es gibt Fortsetzungen von Imperialismus und Kolonialismus, die erst jetzt im UN-Menschenrechtsrat thematisiert werden, wie die Ratsresolution 48/7 und die Folgesitzungen zeigen.

Prioritäten für 2024 und darüber hinaus

Was sollten unsere Prioritäten sein? Pax optima rerum – Frieden ist das höchste Gut – lautete das Motto des Westfälischen Friedens von 1648, der den mörderischen Dreißigjährigen Krieg beendete, eine wahnsinnige Katastrophe, der schätzungsweise acht Millionen Europäer zum Opfer fielen. Der Erste und der Zweite Weltkrieg kosteten zusammen mehr als 60 Millionen Menschen das Leben. Wo liegen die Lessons Learned? Haben wir etwas gelernt? Ein Atomkrieg würde höchstwahrscheinlich den Planeten zerstören, und es gäbe keine Sieger. Ich bin mir nicht sicher, ob selbst Albert Einstein die existenzielle Gefahr für die gesamte Menschheit erkannte – auch wenn er 1947 bei einer Dinnerparty seinen Respekt vor der Macht des Atoms gestanden haben soll – „Ich weiß nicht, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg geführt wird, aber der Vierte Weltkrieg wird mit Stöcken und Steinen geführt werden.“ Dieses Zitat mag apokryph sein, aber se non è vero, è molto ben trovato.

Albert Einstein und Siegmund Freud in Briefen: Warum Krieg?

Bereits 1933 hatten Einstein und Sigmund Freud Briefe über die heikle Frage ausgetauscht, warum intelligente Menschen Kriege beginnen, anstatt sich hinzusetzen und über mögliche Optionen einer friedlichen Koexistenz zu diskutieren. Der Völkerbund veröffentlichte den Austausch in einem berühmten Buch mit dem Titel „Warum Krieg“ [18].

Verhandlungsverweigerung, Unnachgiebigkeit und Eskalation verstoßen gegen die UN-Charta

Zweifellos muss der Frieden unsere Priorität sein, und um Frieden zu erreichen, müssen wir rechtzeitig die Ursachen von Kriegen angehen, wir müssen Missstände in gutem Glauben lösen. Wir müssen verstehen und verinnerlichen, dass eine „Kultur des Betrugs“ [19] kontraproduktiv ist, dass Provokation kein unschuldiger Akt ist [20], dass Verhandlungsverweigerung, Unnachgiebigkeit und Eskalation einen Verstoß gegen Artikel 2 Absatz 3 und Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta darstellen, dass nicht nur die Anwendung von Gewalt, sondern auch die Androhung von Gewalt verboten ist.

Einen globalen Pakt für die Erziehung zu Frieden und Empathie aushandeln

Darüber hinaus muss ein globaler Pakt für die Erziehung zu Frieden und Empathie, für den ich mich in einer Reihe meiner UN-Berichte eingesetzt habe, ausgehandelt und vereinbart werden. Ein Paradigmenwechsel weg von Ökonomien, in denen das Militär an erster Stelle steht, hin zu Ökonomien der menschlichen Sicherheit, weg vom militärisch-industriellen, digitalen, finanziellen Komplex und eine Umwandlung in eine konstruktive Sozialpolitik, die Schaffung von Arbeitsplätzen und das Gesundheitswesen ist notwendig.

Hoffnung aus Hoffnung schöpfen

Es gibt viele Diagnosen für die vielen Krankheiten, die die Menschheit plagen. Wir schöpfen Hoffnung – aus Hoffnung. Wir glauben an uns selbst und an die Fähigkeit des Menschen, menschengemachte Probleme zu lösen. Wir sind immer noch von der Natur in ihrer Pracht umgeben – die Berge und Seen, Flüsse und Ozeane, Wälder und Obstgärten, Vögel und Schmetterlinge, endlose Weizenfelder, die unbeschreibliche Schönheit von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Wenn wir nur unsere Augen öffnen würden, könnten wir die Logik der Schöpfung entdecken. Diese Denkweise kann unsere sein, wenn wir es wollen. Es liegt an uns, das Positive in den Dingen zu sehen und positiv und optimistisch zu bleiben, trotz der Inkompetenz und Korruption der Politiker, die über uns regieren.

Den Grundsatz „Macht macht Recht“ ersetzen durch „Recht ist Macht“

Wir schöpfen Hoffnung aus dem Konzept des Rechts, einem Produkt der organisierten Zivilisation. Wir haben in der UN-Charta eine kohärente, regelbasierte internationale Ordnung, die einer Weltverfassung gleicht. Wir haben internationale Verträge, Überwachungsmechanismen, Untersuchungskommissionen, lokale, regionale und internationale Gerichte. Das ist mehr als nur Augenwischerei. Und doch wissen wir, dass Gerechtigkeit keine Mathematik ist, keine Selbstausführung. Leider ist das Recht der Subjektivität unterworfen, es ist NICHT zeitgleich mit der Gerechtigkeit. Was wir tun müssen, ist, dafür zu sorgen, dass sich der Rechtsstaat zum Rechtsstaat entwickelt [21], dass der Grundsatz „Macht macht Recht“ durch „Recht ist Macht“ ersetzt wird.

Schlussfolgerung: Den Informationskrieg gewinnen, einen Aktionsplan formulieren, unsere Demokratie zurückerobern

Wie überall in menschlichen Angelegenheiten hängen Frieden und Fortschritt davon ab, die richtigen Prioritäten zu setzen und eine kohärente Politik zu verfolgen, um diese zu erreichen. Prinzipien der Weltordnung allein werden es nicht schaffen, die Welt vor der Apokalypse zu retten. Wir müssen den Informationskrieg gewinnen, einen Aktionsplan mit konkreten, pragmatischen Maßnahmen formulieren, und wir müssen unsere Demokratie zurückerobern, Tag für Tag, Schritt für Schritt.

Lassen Sie mich abschließend das Sieben-Punkte-Manifest unterstützen:

  1. Wir sind fast acht Milliarden Menschen auf dem Planeten. Sollen wir eine Gemeinschaft von acht Milliarden Menschen sein, die in Frieden und Harmonie leben, oder werden wir eine Gruppe von acht Milliarden gestressten und depressiven Individuen sein, die Kriege führen und mit unerträglichen Bedingungen konfrontiert sind? Wir befinden uns an einem kritischen Entscheidungspunkt.
  2. Der Abstieg der Menschheit in Krisen und Chaos ist kein Schicksal. Wir können die Art und Weise, wie wir uns auf der Erde entwickeln, verändern. Jeder Krieg und jede Aggression, jede Klimakatastrophe, jede Flüchtlingskrise kann uns in unserer Entschlossenheit bestärken, unseren Weg zu Frieden und Harmonie zu finden.
  3. Die menschliche Gemeinschaft erwacht. Unter einsichtigen Menschen dämmert die Erkenntnis: Wir sind nicht zufällig hier. Unsere mit Bewusstsein ausgestattete Spezies ist nicht das bloße Ergebnis einer glücklichen Biegung in einer im Grunde zufälligen Wendung ihrer Evolution und kann es auch nicht gewesen sein. Es gibt einen tieferen Sinn für die Existenz der Menschheit.
  4. Dies ist kein zufällig interagierendes Universum. Es ist ein sich entwickelndes und evolutionserzeugendes kosmisches Quantensystem. Unter physikalisch geeigneten Bedingungen neigt sie dazu, komplexe und kohärente Systeme und Systeme von Systemen zu schaffen. Die Menschheit ist ein Produkt dieser Evolution, wie sie auf der Erde stattfindet. Es gibt eine Kraft in der Natur, die hinter unserer Existenz steht: die Kraft des Lebens. Dies ist ein universeller Impuls für die Schaffung komplexer und kohärenter Systeme – die Systeme, die wir bewusst und lebendig nennen.
  5. Die Evolution begann im Universum vor 13,7 Milliarden Jahren nach dem Urknall. Seitdem entfaltet es sich. Auf der Erde hat sie ein planetarisches Netz von lebenden Systemen geschaffen, die mit verschiedenen Formen und Ebenen des Bewusstseins ausgestattet sind. Wir sind Teil dieser Entwicklung. Wenn wir uns darauf ausrichten, fördern wir die Integrität unseres Körpers und tragen zum Fortschritt unseres Bewusstseins bei.
  6. Wir haben eine Wahl vor uns, und sie ist real und kann nicht wiederkehrend sein. Es geht darum, sich zu höheren Lebensformen und höheren Formen des Bewusstseins hinaufzubewegen. Die fünfunddreißig Kapitel des Buches „Der große Umschwung„, die von ebenso vielen internationalen Vordenkern angeboten werden, legen Zeugnis davon ab, dass ein Wandel hin zu Frieden und Harmonie auf diesem Planeten erreichbar ist, und zeigen, wie wir ihn erreichen können. [22]
  7. Der Übergang zu einer friedlichen und kooperativen Welt ist mehr als eine kluge Entscheidung des individuellen Verhaltens und der kollektiven Politik. Es ist die Entscheidung, unserer kosmischen Mission gerecht zu werden – einer heiligen Mission. Es ist die Mission der Menschheit, das Leben auf der Erde zu schützen und zu entwickeln und damit den Fortschritt des Bewusstseins im Universum zu fördern.

Sapere aude – habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen

Aus seinem Exil in Pontos gab uns der römische Dichter Ovidius einen Hinweis: Gutta cavat lapidem – der Tropfen wird den Stein noch durchbohren. In diesem Sinne müssen wir durchhalten und uns gegen jeden politischen Kitsch und jede Fehlinformation wehren, die uns unsere Regierungen täglich servieren. Und wie Horatius uns aufforderte: sapere aude [23]. Dieser Imperativ bedeutet, dass wir für uns selbst denken und für unsere Überzeugungen einstehen müssen.

Quelle aller Menschenrechte: die gemeinsame Menschenwürde

Bekennen wir uns am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, erneut zur Quelle aller Menschenrechte – nämlich zu unserer gemeinsamen Menschenwürde, einer übergreifenden Norm, die von allen Religionen und Philosophien anerkannt wird, und erkennen wir, dass das Jahr 2023 zwar ein annus horribilis war, es aber in unserer Macht liegt, uns für Frieden und Versöhnung, für soziale Gerechtigkeit und Menschenrechte einzusetzen. Das sind wir uns selbst und den kommenden Generationen schuldig.

___________________________

 [1] Light on Light Press, 2023.
https://ervinlaszlobooks.com/product/the-great-upshift

https://www.amazon.com/Great-Upshift-Humanitys-Advance-Harmony-ebook/dp/B0CLZ1Q31Z

[2] https://www.jpmorgan.com/insights/global-research/currencies/de-dollarization

https://www.aljazeera.com/features/2023/8/24/can-brics-dethrone-the-us-dollar-itll-be-an-uphill-climb-experts-say

[3] De Providentia 4, 6

[4] www.gipri.ch

[5] Yale University Press, 2018.

[6] Knopf, Kanada 2007.

[7] Random House, 2011.

[8] Simon & Schuster, 2006.

[9] University of California Press, 2018.

[10] Verso books, New York, 2022.

[11] Edward Snowden, Permanent Record, New York 2019, ISBN 9781529035650.

[12] Free Press, New York, 1992.

[13] https://www.ohchr.org/en/special-procedures/ie-international-order/mr-alfred-maurice-de-zayas-former-independent-expert-2012-2018

[14] Clarity Press, Atlanta, 2021.

[15] Klarheit, 2022

[16] Klarheit, 2023

[17] https://www.ohchr.org/en/indigenous-peoples/un-declaration-rights-indigenous-peoples

[18] https://en.unesco.org/courier/may-1985/why-war-letter-albert-einstein-sigmund-freud

[19] https://www.counterpunch.org/2022/01/28/a-culture-of-cheating-on-the-origins-of-the-crisis-in-ukraine/

[20] https://www.counterpunch.org/2023/05/10/provocation-is-not-an-innocent-act/

[21] https://www.counterpunch.org/2022/01/14/the-rule-of-law-must-finally-evolve-into-the-rule-of-justice/

[22] László und Lorimer, Der große Aufschwung. Licht auf Licht Presse, 2023.

[23] Briefe, 1,2,40.

 

*) Prof. Dr. iur. et phil. Alfred-Maurice de Zayas (geb. 1947 in Havanna) ist ein amerikanischer Völkerrechtler, Historiker und Sachbuchautor. Er lebt in der Schweiz. Von Mai 2012 bis April 2018 war er „Unabhängiger Experte des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen für die Förderung einer demokratischen und gerechten internationalen Ordnung“. Weiteres über ihn, seine vielfältigen Tätigkeiten und Engagements auf Wikipedia hier. Die Biographie auf seiner Web-Seite hier.

Auf seiner Web-Seite kann man auch seinen Blog „Menschenrechtsecke“ (hier)  abonnieren. Sein Motto: „Verstehen statt zu verurteilen“. Dazu de Zayas: „Dieser Blog widmet sich rechtlichen, historischen und menschenrechtlichen Fragen, in denen Fragen von allgemeinem Interesse frei und spontan angesprochen werden. Er soll einen informellen Meinungsaustausch im demokratischen Geiste der Meinungsfreiheit und des Respekts vor den Meinungen anderer fördern, um zu verstehen, anstatt zu verurteilen, konstruktive Lösungen vorzuschlagen, anstatt sich in den Vordergrund zu stellen. Die Perspektive ist sowohl von innen als auch von außen und der Mehrwert liegt mehr in den Fragen als in den Antworten.“

 

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