Der Reste-Soli vor Gericht

Ein Verfahren mit zwei Kuriositäten – Ein Finanzminister, der die Klage gegen den Soli nicht gewinnen will – Warum sich Lindner entspannt zurücklehnen kann

Zugegeben: Die Bezeichnung Wiedervereinigungskostenbeteiligungssteuer“ ist zwar formal korrekt,  aber reichlich sperrig und auch als Abkürzung WKBS nicht gerade prickelnd. Ohnehin wirkt das Wort „Steuer“ auf die Bürger zuverlässig abschreckend. Da kommt „Solidaritätszuschlag“ mit seinem sozialen Wohlklang sehr viel schmucker daher. Schon immer sind Politiker mit verbalen Schönfärbereien weit erfindungsreicher gewesen als mit wirklich guter und verlässlicher Politik. Das Volk jedoch hat aus dieser Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer längst den fast schon zärtlich klingenden „Soli“ gemacht. Und so heißt diese Abgabe nun allerorten.

Allerdings, die meisten Steuerzahler in deutschen Landen müssen ihn nicht mehr abliefern. Nur für rund 10 Prozent von ihnen war er bisher nicht totzukriegen. Doch nun können auch sie auf die Entlastung hoffen. Ein Ehepaar hat geklagt, zwar vorm Finanzgericht Aschaffenburg verloren, aber  der Fall liegt nun zur Revision beim Bundesfinanzhof – mit für die Kläger guten Aussichten. Am 17. Januar war dort Verhandlung. Der restliche Soli sei, so der Rechtsbeistand der Eheleute, verfassungswidrig, was er umfänglich ausgeführt hatte. Am 30. Januar wollen die Finanzrichter ihre Entscheidung bekanntgeben. Doch hat der Fall auch eine kuriose Seite.

Ein Finanzminister, der die Klage gegen den Soli nicht gewinnen will

Die eine Kuriosität besteht darin, dass der Bundesfinanzminister das Verfahren gar nicht gewinnen will, jedenfalls nichts dafür tut. In der Revisionsverhandlung am 17. Januar sollte der Finanzbeamte aus Aschaffenburg vom Bundesfinanzministerium aus Berlin unterstützt werden. Es war dem Rechtsstreit beigetreten, als dort Olaf Scholz den Minister gab. Doch die Unterstützung blieb aus, keine Abordnung kreuzte auf, um den Reste-Soli verteidigen zu helfen. Denn der Finanzminister heißt seit dem 8. Dezember 2021 nicht mehr Olaf Scholz (SPD), sondern Christian Lindner (FDP), und Lindner entschied gegen eine Unterstützung im Verfahren, entsandte auch keinen Beobachter.

Was Lindner In der Opposition wollte, will er jetzt  als Minister nicht aufhalten

Das wird die Steuerzahler zwar freuen, aber für einen Finanzminister ist ein freiwilliger Geldverzicht ziemlich ungewöhnlich; üblicherweise pflegen Finanzminister bestehende Abgaben zu verteidigen. Als Lindner noch nicht war, was er jetzt ist, sondern in der Opposition, wollte er den Soli abschaffen. Insofern handelt er jetzt konsequent –  allerdings gegen die Koalitionspartner SPD und Grüne, die den „Soli für Reiche“ beibehalten möchten. Am Zug ist nun der Bundesfinanzhof.*)

In ähnlicher Lage wie Lindner sind zwei andere FDP-Politiker der Ampel-Koalition

Eine weitere Kuriosität ist diese: Damals in der Opposition hatten zwei führende FDP-Politiker ebenfalls gegen den Soli Verfassungsbeschwerde erhoben. Der eine jedoch, Florian Toncar, ist heute im Bundesfinanzministerium Parlamentarischer Staatssekretär, der andere, Christian Dürr, ist im Bundestag der FDP-Fraktionsvorsitzende. Beide gehören also zur amtierenden Ampel-Koalition (SPD, Grüne, FDP). Trotzdem haben sie ihre Verfassungsklage nicht zurückgezogen. Auch sie also verhalten sich konsequent. Gegen den Koalitionsvertrag verstoßen sie damit nicht, denn dort haben die Koalitionsparteien den Soli ausgeklammert, weil sie sich über ihn nicht hatten einigen können. Am Zug ist nun das  Bundesverfassungsgericht.

Papier: Der Soli mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar

Es wäre schon höchst seltsam, also nicht nachvollziehbar, wenn das Verfassungsgericht anders entscheiden würde als  sein früherer Präsident Hans-Jürgen Papier in seinem Gutachten von 2019 (hier): Seit dem 1. Januar 2020 sei die Ergänzungsabgabe mit dem Ende des Solidarpakts II verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigen, also mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar. Der Gesetzgeber hätte den Eintritt in den verfassungswidrigen Zustand verhindern und das Gesetz mit Wirkung zum 1. Januar 2020 aufheben müssen. Zum gleichen Befund (hier) ist der Heidelberger Verfassungsrechtler Prof. Dr. Hanno Kube gekommen. Die teilweise Abschaffung des Soli zulasten eines Teils der Steuerzahler selektiv beizubehalten, sei in keiner Weise zu rechtfertigen und bezogen auf den Finanzierungszweck dieser Ergänzungsabgabe nicht zu legitimieren.

Dem Staat drohen Soli-Rückzahlungen

Papier warnte damals auch davor, dass dem Bund droht, Rückzahlungen leisten zu müssen: „Der Gesetzgeber war offensichtlich nicht willens, den in meinen Augen eindeutigen Verfassungsverstoß zu vermeiden. Damit läuft der Bund Gefahr, erhebliche Steuerrückzahlungen leisten zu müssen, ganz ähnlich, wie er es bereits bei der für verfassungswidrig erklärten Kernbrennstoffsteuer tun musste. Die politische Lernkurve ist leider nicht ausreichend steil, um den damit verbundenen Haushaltsrisiken rechtzeitig zu begegnen. Selten zuvor war so absehbar, dass und wann ein Gesetz seine verfassungsrechtliche Rechtfertigung verliert, wie jetzt beim Solidaritätszuschlagsgesetz.“

Der einstige und gegenwärtige Stand der Ergänzungsabgabe

Erhoben wird der Soli zusätzlich zur Einkommensteuer, Kapitalertragssteuer und Körperschaftssteuer.  Geregelt ist das im Solidaritätszuschlagsgesetz. Auf die jeweils ermittelte individuelle Steuer war ein für alle einheitlicher Prozentsatz zu zahlen. Das waren anfänglich 7,5 Prozent, zwischendurch auch mal Null und dann seit 1998 bis Ende 2020 5,5 Prozent. Damit belastet wurden die Steuerzahler seit dem 1. Juli 1991 (Näheres finden Sie in zwei früheren Beiträgen von mir hier und hier). Seit Jahresbeginn 2021 ist die Ergänzungsabgabe auf die Einkom­men­steu­er für rund 90 Prozent der Steuerzahler Vergangenheit. Wer als Lediger weni­ger als 16 956 Euro an Einkom­men­steu­er zahlen muss, ist von der Abgabe befreit. Für Eheleu­te, die zusam­men veran­lagt werden, beträgt die Freigrenze 33 912 Euro. Ober­halb beider Beträge ist der Soli zu zahlen, aber nicht sofort in voller Höhe, sondern der Steuersatz steigt in dieser soge­nann­ten Milde­rungs­zo­ne schrittweise, bis die vollen 5,5 Prozent erreicht sind.

Warum sich Lindner entspannt zurücklehnen kann

Und was bedeuten beide Gerichtsverfahren für Lindner? Der kann sich entspannt zurücklehnen. Was immer Bundesfinanzhof und Bundesverfassungsgericht entscheiden, er steht gut da – als Parteipolitiker, wenn sie den Soli als verfassungswidrig verwerfen, und er dann wählerwirksam aufs richtige Pferd gesetzt hat, als Finanzminister, wenn sie es wider Erwarten nicht tun sollten, weil ihm dann Finanzmittel erhalten blieben, die er sonst verlöre.

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*) Entscheiden müsste er so, wie er es im Juli 2011 vorgegeben hatte. Bis dahin zwar hatte er den Soli für verfassungsgemäß gehalten, aber zugleich an die Vorgaben des Grundgesetzes für die Aufteilung von Steuern zwischen Bund und Ländern erinnert: „Beim Solidaritätszuschlag handelt es sich um eine Ergänzungsabgabe, die allenfalls kurzfristig erhoben werden darf. Dies war Mitte der 1990er Jahre auch die Ansicht der Bundesregierung: ‚Der Solidaritätszuschlag ist ein Zuschlag auf Zeit. Er ist nicht in die Steuertarife integriert und wird jedes Jahr anhand von objektiven Kriterien auf seine Notwendigkeit hin überprüft. Sollten gegenüber dem Finanzplan die Finanzausgleichsleistungen an die neuen Länder deutlicher als erwartet zurückgehen oder die Steuereinnahmen aufgrund der konjunkturellen Entwicklung dauerhaft höher ausfallen als bisher erwartet, wird der Solidaritätszuschlag schrittweise zurückgeführt.’   Der Solidaritätszuschlag muss nach 19-jähriger Erhebungsdauer aber inzwischen als Dauerabgabe bezeichnet werden. Dies ist mit den Vorgaben der Finanzverfassung nicht zu rechtfertigen. Denn bei gesetzessystematischer Auslegung folgt aus Art. 106 GG, dass eine Ergänzungsabgabe nur zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden darf. Eine Ergänzungsabgabe ist daher nur als ultima ratio in außergewöhnlichen Haushaltssituationen einzusetzen. Dabei ist sowohl die Höhe als auch die Erhebungsdauer eng zu begrenzen. Der Solidaritätszuschlag genügt diesen Verfassungsvorgaben nicht und erscheint deshalb verfassungsrechtlich bedenklich.“

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