Fundsache
„Wenn die Unterschiede zwischen den verschiedenen europäischen Volkswirtschaften so groß sind, dass selbst das Europäische Währungssystem (EWS) sie nicht zügeln kann, wie würden diese Volkswirtschaften auf eine einheitliche europäische Währung reagieren? Die Antwort ist, dass es ein solches Chaos geben würde, dass die Schwierigkeiten der letzten Tage im Vergleich verblassen lassen würden.
Riesige Summen müssten von den reicheren in die ärmeren Länder und Regionen transferiert werden, damit sie die Belastungen aushalten könnten. Aber selbst dann würden Arbeitslosigkeit und Massenmigration über jetzt offene Grenzen folgen. Und eine umfassende Einheitswährung würde kein Entrinnen zulassen.
Die politischen Konsequenzen sind bereits absehbar: Das Anwachsen extremistischer Parteien, gediehen auf den Ängsten vor Masseneinwanderung und Arbeitslosigkeit, bieten eine echte – wenn auch durchaus unerwünschte – Alternative zum euro-zentristischen politischen Establishment.
Wenn zusätzlich dazu eine supra-nationale Europäische Union gegründet würde und die Bürger ihre nationalen Parlamente nicht länger zur Rechenschaft ziehen könnten, würde der Extremismus nur weiter wachsen.
Es ist Zeit für die europäischen Politiker, diese Gefahren zur Kenntnis zu nehmen. Es ist an der Zeit, die endlosen Gipfeltreffen zu beenden – Gipfeltreffen, die immer mehr zu einem Ersatz für Entscheidungen werden – und die Realität um sie herum zu erkennen.
Es gibt in Europa ein wachsendes Gefühl der Entlegenheit, eine Entfremdung der Menschen von ihren Regierungsinstitutionen und ihren politischen Führern. Es besteht die Befürchtung, dass der europäische Zug, beladen mit seiner üblichen Ladung schnellen Geldes, auf ein von den Wählern weder gewünschtes noch verstandenes Ziel zuläuft. Aber der Zug kann angehalten werden.“
(Margaret Thatcher am 19. September 1992, damals nach elf Jahren als britischer Premier seit 22 November 1990 nicht mehr Amt. Quelle: Speech to CNN World Economic Development Conference | Margaret Thatcher Foundation).
Der Zug ist nicht angehalten worden. Frau Thatcher’s Worte galten damals dem Vertrag von Maastricht, den der Europäische Rat am 7. Februar 1992 im niederländischen Maastricht unterzeichnet hatte. Dieser Vertrag ebnete den Weg für den Euro als einheitliche Währung für die Europäische Union (zuvor Europäische Gemeinschaft, EG) und legte den Grundstein für die Europäische Zentralbank (EZB) samt dem Europäischen System der nationalen Zentralbanken. Die gemeinsame Währung gibt es seit dem 1. Januar 1999 für anfangs 19 der 27 EU-Staaten. Jetzt kommt als zwanzigster Staat Kroatien dazu. Länder wie Schweden, Dänemark, Ungarn, Tschechische Republik und Polen halten sich von der Euro-Währungsunion fern; Unabhängigkeit in der Geldpolitik ist ihnen mehr wert als die Mitgliedschaft.
Zur Preisstabilität ist die EZB verpflichtet, nicht zur Staatenrettung
Die EZB hat die Aufgabe, den Wert des Euro zu sichern und damit für ein stabiles Preisniveau zu sorgen. Das ist der EZB inzwischen ganz schön aus dem Ruder gelaufen, weil sie seit Draghi an der EZB-Spitze aus politischen Gründen die schwachen Euro-Staaten und damit auf Deubel-komm-raus den Euro retten wollte. Dabei ist das nicht ihre Aufgabe, sie missbraucht ihren Auftrag und die ihr dafür eingeräumte Unabhängigkeit für politische Zwecke. Die durchschnittliche Teuerungsrate in der EU ist nunmehr auf über 8 Prozent hochgeschnellt.
Die EZB kommt nicht umhin, den Druck des Preisanstiegs nachzugeben
Gerade bequemt sie sich, ein bisschen Leitzinswende zu wagen. Sie muss dem Druck des Preisanstiegs nachgeben. Auf ihrer nächsten Sitzung am 21. Juli hat sie vor, den Leitzins von bisher Null auf 0,25 Prozent anzuheben. Ein weiterer Schritt ist für September im Visier. Aber nach wie vor verlangt sie von den Geschäftsbanken für Geld, das diese kurzfristig bei ihr parken, 0,5 Prozent „Negativzins“. Und vom 1. Juli an will sie den Kauf zusätzlicher Anleihen beenden, wohl kaum endgültig und auf ewig, aber wenigstens vorläufig. Doch die erworbenen Anleihen, die auslaufen, will sie durch Neukäufe ersetzen, so dass ihr Bestand bleibt, wie er ist. Diese Käufe und die Niedrigstzinsen für Kredite haben zu einer exorbitanten Ausweitung der Geldmenge und damit zu einer kaufkräftigen Nachfragesteigerung geführt. Deren Inflationspotential hat sich zunächst auf den Immobilien- und Aktienmärkten entladen hat und schlägt nun mit Macht auch auf die Konsumgüterpreise durch.
Maggie Thatcher hatte Recht
Was Maggie Thatcher 1992 (und sie nicht allein) deutlich prognostizierte, ist eingetreten. Die gemeinsame Euro-Währung hat in der Tat zu einem Chaos geführt, und riesige Geldbeträge fließen in der Tat von den relativ soliden (und daher reicheren) Euro-Ländern in die relativ unsoliden (und daher ärmeren) Euro-Länder. Massenmigration und Arbeitslosigkeit sind ebenfalls eingetreten. Wie dem nun entrinnen? Solange die Einheitswährung besteht, lässt sie, so die einstmalige Eiserne Lady“, ein Entrinnen nicht zu. Recht gehabt hat sie, aber Recht haben und sofort auch Recht bekommen sind bekanntlich zweierlei. Sie sind es vor allem im Ablauf der Zeit, wenn das Richtige nicht erkannt werden will und sich aktuell nicht durchsetzt. Beides kann aber eins werden, wenn nur genug Zeit vergangen ist und derjenige, der Recht hatte, durch den Zeitablauf letztlich doch noch Recht bekommt. Zu häufig aber erst post mortem.
Das ruinöse Euro-Abenteuer geht weiter
Ihm selbst nützt das nichts mehr – Lady Thatcher ist längst dahingeschieden – aber den noch Lebenden durchaus – es sei denn, sie wollen, was falsch war, immer noch nicht erkennen und lehnen das Richtige weiterhin ab. Genau so geschieht es. Die Europäische Union klebt am Euro noch immer. Denn die Mehrheit der geschädigten Bevölkerung in den ursprünglichen Hartwährungsstaaten der EU spürt den Schaden am eigenen Leib nach wie vor noch nicht übermächtig genug, so dass sie ihren Regierungen Beine macht und revoltiert. Ob sich dass mit der zunehmenden Teuerungswelle, die im Wesentlichen eine Folge von Euro und Euro-Rettungspolitk der EZB ist,*) wohl ändert? An sich ist es unausweichlich, aber politisch nicht gewollt. Das ruinöse Euro-Abenteuer geht weiter.
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*) Nur dieser Teil der Teuerung ist Inflation. Sie entsteht durch das Aufblähen der Geldmenge, wenn das Angebot an Sachgütern mit dieser Ausweitung nicht Schritt hält. Die Preissteigerungen als Folgen der seit Frühjahr 2020 unsäglichen Corona-Anordnungen und des Ukraine-Krieges seit 24. Februar 2022 kommen inzwischen noch hinzu. Sie beruhen auf Angebotsverknappungen und sind keine Inflation, verstärken aber den inflationsbedingten Preisanstieg. Inflation ist ein monetäres Phänomen. Um sie mit Erfolg zu bekämpfen, ist die Geldmenge wieder zu drosseln. Allerdings drosselt das zunächst auch die Wirtschaft und verursacht vorübergehend höhere Arbeitslosigkeit. Deshalb wird für diese Therapie politischer Mut gebraucht. An ihm fehlt es meistens. Maggie Thatcher war eine Ausnahme: Sie hatte ihn.