Von Italien immer wieder in öffentlichen Mahnrufen das Selbstbestimmungsrecht verlangt – Nach der „Feuernacht“ 150 BAS-Freiheitskämpfer 1961 als terroristo inhaftiert und gefoltert – Der aus dem Gefängnis geschmuggelte Folterbrief von Sepp Mitterhofer – Mitkämpfer von ihm starben im Gefängnis an den Folgen der italienischen Torturen – Mitterhofer nach fast acht Jahren Gefängnis wieder frei und ungebrochen – Als Vorsitzender des Tiroler Heimatbundes unerschütterlich und unbeugsam für Tirols Einheit mit politischen Mitteln – Sein Credo: Los von Rom, Südtirol ist nicht Italien – Aber formelle Würdigung und offizieller Ehrenerweis blieben ihm versagt – Ein Nachruf zu seinem Tod mit 90 Jahren
Wer Freiheit nicht hat oder nicht mehr hat, will sie zurückhaben. Doch in der Regel muss er sich das Verlorene erkämpfen. Nicht anders ergeht es den Südtirolern. 1919 war Südtirol gegen seinen Willen von einem Staat annektiert worden, in den es nicht passt und der auch zu ihm nicht passt: von Italien. Beide sind sich wesensfremd.
Eine Hoffnung, die zerstob
Die Hoffnung des kleinen Alpenlandes, nach dem Zweiten Weltkrieg von Italien wieder loszukommen und nach Tirol sowie damit nach Österreich zurückzukehren, erfüllte sich nicht. Wohl sichert ein Abkommen zwischen Italien und Österreich von 1946 den Südtirolern für die eigenen Angelegenheiten die Selbstverwaltung mit einer Landesautonomie zu, aber Italien hat das Abkommen derart untergraben, dass sich die Südtiroler unterjocht und kujoniert fühlten. Zudem hat Italien alles getan, um das Land mit eigenen Landsleuten aufzufüllen und Südtirol zu italienisieren.
Eine Gewalttat, die letztlich doch zu einem neuen Autonomie-Statut führte
Um auf diesen Zustand aufmerksam zu machen, gründeten einige mannhafte Südtiroler 1956 den „Befreiungsauschuss Südtirol (BAS)“. Viel ausrichten vermochte dieser nicht. Doch erreichte das Land nach einer Südtiroler Gewalttat (Sprengen von Strommasten) weithin öffentliche Aufmerksamkeit, auf diese Weise abermalige Verhandlungen und 1972 ein neues Autonomie-Statut.*) Einer der Südtiroler Freiheitskämpfer war Sepp Mitterhofer. An ihn erinnert der in Wien lebende Reinhard Olt**) in seinem folgenden Gastbeitrag. Die Zwischenüberschriften sind von mir eingefügt.
Der Unbeugsame
Zum Tod des Südtiroler Freiheitskämpfers Sepp Mitterhofer
Ein Nachruf von Reinhard Olt, Wien
Man nennt sie, die der Volksmund „Bumser“ hieß, gemeinhin Aktivisten
des BAS (Befreiungsauschuss Südtirol), mitunter auch Widerstandskämpfer. In den Augen von Italienern und leider auch von Antifa-Zeitgenossen sowie Italophilen, wie sie nicht selten auch in ihrer Heimat zu finden sind, waren/sind es – milde ausgedrückt – Attentäter, im politisch-korrekten italo-römischen Jargon indes Terroristen. Ich hingegen scheue mich nicht, sie so zu nennen, wie sie sich selbst sahen und von heimatbewussten deutsch-österreichischen Patrioten als solche erachtet werden – Freiheitskämpfer.
Im Kampf um die Befreiung Südtirols von Italien
Einer von ihnen, der Obstbauer Sepp Mitterhofer vom Unterhasler-Hof in Meran-Obermais, ist unlängst im 90. Lebensjahr verstorben. Er war deren einer der letzten, die sich einst mit dem legendären BAS-Gründer Sepp Kerschbaumer, einem Greißler und Kleinbauern aus Frangart, zusammengetan hatten, um in konspirativen Klein- und Kleinstgruppen daran mitzuwirken, die Welt(öffentlichkeit) auf die Entnationalisierung ihrer Heimat aufmerksam zu machen, die das „demokratische“ Nachkriegsitalien in nach wie vor totalitärer Gebärde sowie partiell fortgeltender faschistischer (Un-)Gesetzlichkeit betrieb. Rom hatte die unter Mussolini ins Werk gesetzte systematische Italianisierung des Landes zwischen Brenner und Salurn unablässig fortgeführt – trotz der Autonomie-Übereinkunft, die Italiens Regierungschef Alcide DeGasperi und der österreichische Außenminister Karl Gruber 1946 in Paris vereinbart hatten. Denn seit dem (Unrechts-)Vertrag von Saint-Germain-en-Laye 1919 war das südliche Tirol Italien zugesprochen worden. Sowohl nach dem unglückseligen Ersten Weltkrieg, als auch nach dem verhängnisvollen zweiten Weltenbrand hatten die Siegermächte Südtirol die Selbstbestimmung verweigert. Erbarmungslos ließen die Bozner Statthalter der italienischen Staatsmacht die angestammte Bevölkerung partiell unterjochen.
Immer wieder in öffentlichen Mahnrufen das Selbstbestimmungsrecht verlangt
Die Aktivisten des BAS verlangten, worauf kein Geringerer als Sepp Mitterhofer in vielen seiner späteren öffentlichen Mahnrufe stets hinwies, nämlich auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch den in einen wesensfremden Staat gezwungenen Tiroler Volksteil. Sie wandten sich gegen die römische Verfälschung jenes Gruber-DeGasperi-Abkommens, worin den Südtirolern die Selbstverwaltung ihrer Angelegenheiten in Form einer statuarisch festgelegten Landesautonomie zugestanden worden war. Sie setzten sich dafür ein in Wort und ersichtlicher wie vernehmbarer Tat – woran es den meisten südtirolern Volksvertretern aufgrund realpolitischer, von Rom bestimmter Fakten und Maßnahmen zwangsläufig, zum Teil aber auch aus einer gewissen Selbstfesselung mangelte.
Nach Groß-Demo 1957, Kreisky-Intervention vor den UN 1960/61 und „Feuernacht“ von 1961 dann doch ein neues Autonomie-Statut
Hatten die BAS-Akteure zunächst noch die Hoffnung, dass sich nach der machtvollen Demonstration von 30.000 Südtirolern auf Schloss Sigmundskron 1957 und mehrmaligen Vorstößen Wiens – so der Intervention des damaligen Außenministers Bruno Kreisky vor den Vereinten Nationen zugunsten der Südtiroler 1960/61 – die starre Haltung Roms ändern könnte, so sahen sie sich alsbald getäuscht. Die Geduld der idealistischen BAS-Kämpfer wich daher zugunsten der Tat. Ihr „großer Schlag“ war das Sprengen von annähernd 40 Strommasten in der sogenannten „Feuernacht“ (vom 11. auf 12. Juni 1961). Allein Sepp Mitterhofer und seine Kleingruppe hatten deren zehn mit Zündern und Sprengstoff „geladen“: Das Sprengen wurde als Signal nicht nur im weiten Rund um Bozen sowie an Eisack und Etsch gehört, sondern weit darüber hinaus. Nicht zuletzt dieses Fanal der Verzweiflung gab – wider anderslautende Auffassungen, Deutungen und geschichtspolitische Interpretationen – den Anstoß für Verhandlungen der beteiligten Konfliktparteien, woraus schließlich das zwischen 1969 und 1972 staatsrechtlich in Kraft gesetzte neue Autonomie-Statut hervorging, auf dessen Grundlage die heutige (gesellschafts)politische Verfasstheit Südtirols ruht.
150 BAS-Freiheitskämpfer 1961 als terroristi inhaftiert und gefoltert
Bis es soweit war, haben zahlreiche Rückschläge den Verhandlungsprozess zwischen Wien sowie Bozen und Rom begleitet.
Und die BAS-Aktivisten durchlitten ein von der italienischen Staatsgewalt legitimiertes Purgatorium, das wider die Menschenrechte verstieß und eines demokratischen Rechtsstaates gänzlich unwürdig war. Südtirol wurde in Belagerungszustand versetzt und von Sicherheitskräften förmlich überzogen, so dass mehr als 20.000 Soldaten, Carabinieri sowie Spezialisten der Geheimdienste den verhängten Ausnahmezustand zu gewährleisten und jede „feindliche Regung“ zu unterdrücken hatten. 150 Freiheitskämpfer des BAS wurden als „bombardieri“ beziehungsweise „terroristi“ inhaftiert, die meisten von Angehörigen einer Spezialeinheit gefoltert, denen Italiens Innenminister Mario Scelba die „Carta bianca“ für ihr barbarisches Tun erteilte.
Der aus dem Gefängnis geschmuggelte Folterbrief von Sepp Mitterhofer
Sepp Mitterhofer, der Obstbauer und Vater von vier Kindern, war unter den Gefolterten. In einem aus dem Gefängnis geschmuggelten, an Landeshauptmann Silvius Magnago gerichteten Brief hat er das Unfassbare, das er erleben musste, geschildert. Einige Auszüge:
„Im Ganzen musste ich zwei Tage und drei Nächte strammstehen ohne etwas zu Essen, Trinken und zu Schlafen. […] Mit Fußtritten wurde ich an den Füßen und am Hintern bearbeitet und auf den Zehen herumgetreten. [….] Am meisten geschlagen wurde mir ins Gesicht, dass ich so verschwollen wurde, dass ich später nicht mehr den Mund aufbrachte zum Essen. Die Arme wurden mir am Rücken hochgerissen, dass ich laut aufschrie vor Schmerz. Einmal musste ich mich halbnackt ausziehen, dann wurde ich so lange mit Fausthieben bearbeitet bis ich bewusstlos zusammenbrach. […. ] Öfters musste ich stundenlang vor brennende Scheinwerfer stehen und hineinschauen bis mir der Schweiß herunter rann und die Augen furchtbar schmerzten. Man zog mich an den Ohren und riss mir Haare büschelweiße vom Kopf. [… ] Der Rücken musste glatt an der Mauer angehen, kaum, dass ich mich rührte oder mit den Zehenspitzen etwas herausrutschte, so schlug mich ein Carabiniere, der vor mir stand, mit dem Gewehrkolben auf die Zehen oder auf den Körper.“
Mitkämpfer Mitterhofers starben im Gefängnis an den Folgen der italienischen Torturen
Eine Reaktion von Seiten des Adressaten blieb aus. Wie anderen BAS-Aktivisten wurde auch Mitterhofer in Mailand der Prozess gemacht. Das Urteil lautete auf zwölf Jahre Gefängnis. Die Verurteilten wurden auf verschiedene Haftanstalten verteilt. BAS-Gründer Kerschbaumer verstarb während des Strafvollzugs in Verona. Seine und Mitterhofers Mitstreiter Franz Höfler (aus Lana) und Anton Gostner (aus St. Andrä bei Brixen), Vater von fünf Kindern, ließen ihr Leben in unmittelbarer Folge von Folter-Torturen in Kasernen von Meran beziehungsweise Brixen und Bozen. Es erscheint mir eine denkwürdige Koinzidenz – wenn nicht eine metaphysisch-überirdische Fügung – zu sein, dass Sepp Mitterhofer just in den Stunden verstarb, da man in Südtirol Höflers vor 60 Jahren erlittenen Foltertods gedachte.
Nach fast acht Jahren Gefängnis wieder frei und ungebrochen
Nach sieben Jahren und elf Monaten Gefängnisaufenthalts war Mitterhofer entlassen worden. Folter und Haft hatten ihn ebensowenig brechen können wie ihn die davongetragenen gesundheitlichen Schäden und lebenslangen Beeinträchtigungen nicht verbitterten. Im Gegenteil:
Er setzte sich erfolgreich für die ehemaligen politischen Häftlinge ein. Mit Beistand namhafter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens konnte dank unermüdlichen Einsatzes erreicht werden, dass die Hypotheken des italienischen Staates gelöscht wurden, welche auf dem Besitz ehemaliger politischer Häftlinge lasteten, und die Haftopfer ihre bürgerlichen Rechte wiedererlangten. Sepp Mitterhofer führte auch unerschütterlich den Kampf für Freiheit und Einheit Tirols mit politischen Mitteln weiter und übernahm den Vorsitz im Südtiroler Heimatbund (SHB), an dessen Gründung er zusammen mit anderen ehemaligen politischen Häftlingen beteiligt gewesen war.
Mitterhofers Credo: Los von Rom, Südtirol ist nicht Italien
Ziel des SHB ist „die Durchsetzung des seit 1919 verwehrten Selbstbestimmungsrechts, das die Entscheidung über die Wiedervereinigung des geteilten Tirol bis zur Salurner Klause zum Gegenstand hat. Die angestrebte Wiedervereinigung soll entweder durch einen einzigen Volksentscheid oder durch schrittweisen Vollzug verwirklicht werden.“ Der „politische Arm“ des SHB, die oppositionelle Bewegung SÜD-TIROLER FREIHEIT, die Mitterhofer mitgegründet hatte, vertritt dieses Ziel im Südtiroler Landtag und in allen öffentlichen Auftritten gemäß Sepp Mitterhofers Credo, wonach „Süd-Tirol nicht Italien“ ist und dass allein das ursprüngliche Ziel „Los von Rom“ das 1919 gesetzte historische Unrecht auslöschen könne.
Aber formelle Würdigung und offizieller Ehrenerweis blieben ihm versagt – eine Schande
Diesem großen Sohn Tirols ist weder von den Institutionen der beiden Landesteile in Bozen und Innsbruck, noch von denen Österreichs, dessen politische Repräsentanten in Sonntagsreden Südtirol stets „eine Herzensangelegenheit“ nennen, jemals eine formelle Würdigung für seinen heimattreuen Lebenseinsatz zuteil geworden. Auch blieb ihm – aus politischer Rückgratlosigkeit und weil das meist „ausgezeichnet“ genannte österreichisch-italienische Verhältnis nicht getrübt werden sollte – ein offizieller Ehrenerweis versagt. Dies nenne ich eine erbärmliche Schande.
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*) Näheres über den Südtiroler Freiheitskampf finden Sie unter anderem hier, hier, hier und hier.
**) Über den Autor: Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Olt war vom 1. November 1985 an politischer Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und vom 1. September 1994 bis zu seinem Ausscheiden am 31. August 2012 mit Sitz in Wien deren politischer Korrespondent für Österreich, Ungarn, Slowenien, zeitweise auch für die Slowakei. In der FAZ hat er die meiste Zeit seines beruflichen Wirkens zugebracht. Daneben nahm er Lehraufträge an deutschen und österreichischen Hochschulen sowie in Budapest wahr. Seit 1990 ist er Träger des Tiroler Adler-Ordens, seit 2013 des Großen Adler-Ordens. 1993 erhielt er den Medienpreis des Bundes der Vertriebenen. 2003 zeichnete ihn der österreichische Bundeskanzler mit dem Leopold-Kunschak-Preis aus, und der Bundespräsident verlieh ihm im gleichen Jahr den Titel Professor. 2004 wurde er als erster mit dem Otto-von-Habsburg-Journalistenpreis für Minderheitenschutz und kulturelle Vielfalt geehrt; ebenfalls 2004 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Steiermark verliehen. 2012 ernannte ihn die Eötvös-Loránt-Universität in Budapest zum Ehrendoktor (Dr. h.c.) sowie Professor, und 2013 verlieh ihm der österreichische Bundespräsident das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Geboren wurde Olt 1952 als Sohn eines Bauern im Odenwald. Sein Abitur bestand er 1971 in Michelstadt (Odenwald). Nach Ableistung des Wehrdienstes studierte er Germanistik, Volkskunde, osteuropäische Geschichte und Politikwissenschaft in Mainz, Freiburg und Gießen bis zur Promotion 1980. Es folgte an der Universität Gießen eine Assistententätigkeit. Dann begann 1985 seine Zeit in der FAZ.