Ungeschminkt über das, was ist und was kommt

Max Otte über den Weltsystem-Crash – Neuer Kalter Krieg, Spannungen in Asien, Brodeln im Westen, labile Weltwirtschaft – Bröckelnde Nachkriegsordnung, der Aufstieg Chinas, hegemoniale Zyklen, Spielarten der Macht – Herrschaft der Super-Reichen, das Euro-Desaster, die EU in der Zerreißprobe – Das Modell Deutschland war einmal, jetzt läuft der Abstieg – Das Endspiel für die neue Weltordnung – Auswege, zumindest für die mit Vermögen – Eine Buchvorstellung

Ein neues Buch von Max Otte. Wieder geht es um „Crash“, also um Zusammenbruch, um Einsturz. Vor gut dreizehn Jahren lautete Ottes Buch Der Crash kommt, –  ein Bestseller, fast 500 000mal verkauft. Das neue jetzt wartet auf mit dem Titel Weltsystem Crash. In der Einleitung schreibt der Autor, er werde sehr unangenehme Themen ansprechen und sehr unbequeme Erklärungen anbieten. Dabei würden einige Leser sicher denken „Das kann doch nicht wahr sein.“ Doch leider ist an Informationen , Erklärungen oder Botschaften über schlimme Vorgänge, auch Warnungen vor ihnen, weit mehr wahr, als unbescholtene, brave Bürger oft ahnen und sich überhaupt vorstellen können. Viele von ihnen neigen deshalb dazu, nicht wahrhaben zu wollen, was Sachkundige ihnen an möglichen, wahrscheinlichen oder unausweichlichen Schrecklichkeiten auszumalen vermögen. Folglich baut Otte vor: Nicht für alle schreibe er, sondern „für diejenigen, die wirklich nach Erklärungen suchen für das Chaos, das derzeit auf der Welt herrscht, die Bedrohung der Freiheit, den Populismus, den Abstieg der Mittelschicht, die Kriege.“ Mit seinem Buch verspricht er – als Angebot an die Leser –  seine „ungeschminkte Sicht der Dinge“.

Neuer Kalter Krieg, Spannungen in Asien, Brodeln im Westen, labile Weltwirtschaft

Was nun erwartet den Leser? Immerhin muss er sich durch über fünfhundert Seiten reinen Text mit sechzehn Kapiteln durcharbeiten, darin nicht mitgerechnet die umfangreichen Anmerkungen, das Stichwortverzeichnis, die Literaturangaben und die vier Anhänge. Gegliedert ist das Buch in drei Teile: Der Weg in die Krise (Teil I) – Im Crashmodus (Teil II) – Auswege (Teil III). Der erste Teil beginnt im ersten Kapitel mit einer gerafften Zustandsbeschreibung seit 1990 bis heute (Die Welt vor dem Systemcrash).  Im September damals wollte der amerikanische Präsident Bush sen. eine „New World Order“ schaffen, womit er laut Otte eine liberale Weltordnung meinte (Seite 29). Doch schon kurz darauf habe die internationale Ordnung zu erodieren begonnen. Inzwischen gebe es in Europa einen neuen Kalten Krieg, wachsende Spannungen in Asien, auch im Westen brodele es, die Weltwirtschaft sei labil.

Bröckelnde Nachkriegsordnung, der Aufstieg Chinas, hegemoniale Zyklen, Spielarten der Macht

Das zweite Kapitel befasst sich mit den USA und dem langsamen Ende der Nachkriegsordnung. Diese Ordnung bröckele, eine neue lasse sich in Umrissen nur erahnen. Das Zentrum der Weltwirtschaft wandere in Richtung Fernost. Erörtert wird, ob Weltmächte gebraucht werden, dargestellt wird die amerikanische Weltordnung von 1945 bis 1990 mit der Nato, dann, wie in den USA die Neokonservativen aufstiegen und mit welchen Folgen. Dazwischen Einschübe über hegemoniale Zyklen, Spielarten der Macht, Regime-Wechsel, verdeckte Kriegsführung und die Vorfälle auf dem Euromaidan in der Ukraine, ferner direkte und indirekte Imperien. Im dritten Kapitel befasst sich Otte mit dem Aufstieg Chinas, der fast alle derzeitigen Entwicklungen dominiere, und zwar weltweit und in fast allen Bereichen. Behandelte Stichworte darin sind die Neue Seidenstraße, die Expansionsstrategie, vom Billigproduzenten zum Technologieführer, Handelskrieg, Aufrüstung zur See, verbunden mit der Frage, ob sich Geschichte wiederhole. Teil I schließt ab mit dem langen Abschied vom Währungssystem von Bretton Woods (Kapitel 4).

Der nächste Crash, Herrschaft der Super-Reichen, das Euro-Desaster, die EU in der Zerreißprobe

Im Crash-Modus-Teil des Buches mit zusammen neun Kapiteln behandelt Otte die unbewältigte Finanzkrise und den nächsten Crash, den Abstieg der Mittelschicht, die „Beutewirtschaft, Finanzkapitalismus und die Herrschaft der Superreichen“. Eine Reform des Finanzsystems hält er für möglich. Es folgen Donald Trump, der Populismus und das System, dann die europäische Union auf dem Weg in die EUdSSR (als Akteur „zerstritten, wehrlos und fremdbestimmt“).  Noch ein Kapitel für sich ist der Euro. Ihn und die Währungsunion sieht Otte, kein Wunder, als abschreckendes Demonstrationsobjekt dafür, „wie ein System in die Sackgasse gerät“, mehr noch: „mit Vollgas vor die Wand“ gefahren wird. Mit dem Euro-Desaster und den EZB-Versuchen, ihn („what ever it takes“) zu retten, ist der EU-Marsch in die staatliche Planwirtschaft stark vorangekommen. Flankierend dazu habe von 2014 an eine sehr mächtige Anti-Bargeld-Lobby den Krieg gegen das Bargeld eröffnet (Seite 309). Die Folgen, wenn diese Lobby ihn gewinnt, bedrücken und müssen alarmieren. Die EU, so Ottes Fazit, steckt in einer Zerreißprobe.

Das Modell Deutschland war einmal – jetzt läuft der Abstieg

Und mittendrin als großer zentraler EU-Staat steckt Deutschland. Otte beginnt dieses trübe Kapitel – es ist im Buch das elfte und zwölfte – mit einem längeren Zitat des ordoliberalen Nationalökonomen Wilhelm Röpke, dessen Schlusssatz lautet: „Und immer wieder haben die Deutschen – mit und ohne Schuld – verloren, so sehr, dass man die ganze Geschichte Deutschlands … als einzige Geschichte der Frustationen bezeichnen kann.“ Nun (nach zwei verlorenen großen Kriegen und Wiedererholungen) abermals auf dem Weg in den Abstieg, diesmal ganz ohne als Folge von Waffengewalt, dafür diabolisch auf andere Weise. Die deutsche Wirtschaft um 1900 als leistungsfähigste der Welt – das „Modell Deutschland“ war einmal. Ebenso die „Wirtschaftswunder“-Zeit von 1949 an, auch das ein Modell. Otte beschreibt den Niedergang. Die Deutschland AG werde abgewickelt, Deutschland abgezockt. Es geht um folgenschwere Fehler Helmut Kohls, um rot-grüne Fehlentscheidungen, um „die katastrophale Kanzlerschaft Angela Merkels“ und um den Niedergang des deutschen Bildungssystems. Deutschland befinde sich in einem „Weltkrieg um Wohlstand“. Es geht um Deutschland als „ewigen Loser“ bei grenzüberschreitenden Fusionen und Übernahmen, um den Zermürbungskrieg gegen das deutsche Bank- und Finanzsystem, um den „Feldzug“ gegen die deutsche Automobilbranche.

Das Endspiel für die neue Weltordnung läuft und Mahnung an die Medien

Im Kapitel 13 befasst sich Otte mit den Themen Fake News, Überwachungsstaat, Repression und der Geburt einer neuen Weltordnung. Darin sieht er für die Zukunft in der Weltpolitik drei mögliche Hauptszenarien voraus: erstens einen neuen „Kalten Krieg“ zwischen einem amerikanisch dominierten und einem chinesisch geführten Block, zweitens einem heißen globalen Krieg und drittens „eine halbwegs stabile Großraumordnung mit mehr als zwei Blöcken“. Alle drei werden von ihm näher erläutert. Das dritte hält er verständlicherweise für das beste Szenario. Das Endspiel für die neue Weltordnung laufe (Seite 399). Der „Krieg vor dem Krieg“ (Ulrich Teusch) sei in Form von Presse- und Desinformationskampagnen, Handelskriegen und verdeckten Operationen in vollem Gange. Und das alles mit der technischen Revolution durch Elektronik, Computer, Internet, steuernde Algorithmen und „künstliche Intelligenz“. Weitere Themen sind Lügen in Zeiten des Krieges, der Weg zur Knechtschaft und Verschwörungstheorien. Die Medien als „vierte Gewalt“ sollen sich für ihre Arbeit an die fünf Standards halten, wie sie Markus Krall formuliert hat (Seite 410).

Ausgespart: die ruinöse Klimaschutzpolitik

Was Otte ausbreitet, ist Kundigen geläufig. Aber es gibt nach wie vor zu viele Unkundige, denen sein Buch die Augen öffnen kann, wenn sie sich die denn öffnen lassen wollen. Doch auch für die Kundigen ist das, was Otte zusammengetragen hat, gleichwohl lohnend, es in dieser geschlossenen Darstellung zum Nachschlagen im Bücherschrank zu haben. Mit einem Thema allerdings befasst er sich nicht: mit der Klimaschutzpolitik. Nur ganz kurz erwähnt er es, obwohl gerade Deutschland sich auch damit ruiniert. Zwei Entwicklungen habe er im Buch beleuchtet, eine dritte lasse sich („wenn Sie wollen“) noch hinzufügen: „den (menschengemachten) Klimawandel“. Otte selbst will nicht: „Ich persönlich habe mit den ersten beiden genug Stoff zum Nachdenken.“ (Seite 391). Bei dem „menschengemacht“  handelt es sich längst um eine Ersatzreligion mit Massenwahn. Es mag sein, dass Otte sich mit diesen Gläubigen nicht anlegen will. Doch ebenso lässt seine kurze Bemerkung vermuten, dass auch er selbst glaubt, der (auf der Erde schon immer übliche) Klimawandel sei menschengemacht, denn mit  An- und Abführungszeichen versehen hat er das in Klammern gesetzte Wort nicht.

Auswege – zumindest für die mit Vermögen

Nach den Fakten und Warnungen zeigen die letzten drei Buchkapitel „Auswege“ auf, darunter auch Ratschläge wie: Einen klaren Kopf bewahren, Die praktische Vernunft pflegen, Bücher lesen – gerade in Zeiten der Digitalisierung, Der Wert der Klassiker und das Studium der Geschichte, Sich selber hinterfragen, Soziales Kapital anhäufen, Traditionen pflegen und daraus Neues entwickeln. In diesem letzten Teil erklärt Otte, wie man sich auf eine größere Katastrophe, auf den „Weltsystem-Crash“ vorbereiten kann – allgemein und vor allem finanziell mit einem Acht-Punkte-Programm zum Katastrophenschutz, Vermögensschutz und finanzieller Gesundheit. Es seien zunächst Vorkehrungen zu treffen: sich eine finanzielle Schwimmweste, „besser noch ein Rettungsboot“ verschaffen, sichere Länder und Banken suchen, einen Einnahmen- und Ausgabenplan erarbeiten, seine Einnahmen auf eine sichere und breitere Basis stellen. Dann folgen Ratschläge, wie für die Krise das Kapital anzulegen sei. Das richtet sich vor allem an Menschen mit zumindest kleinerem Vermögen. Wer sich darüber schon immer Gedanken hat machen müssen, wird auf viel Bekanntes stoßen. Und manches ist dabei, was sich die meisten nicht leisten können, zum Beispiel für ein Refugium nach Neuseeland flüchten, wo dort dann das Landhaus bereitsteht. Gleichwohl, Lesestoff ist auch, was zur eigenen Absicherung außerhalb des Erreichbaren liegt. Somit gilt auch hier: Nicht für alle ist das Buch geschrieben.

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