Nun ist die Zeit der Neujahrsempfänge

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege – Das Januar-Gedicht von Erich Kästner – Wünsche, die für Oscar Wilde zur Tragödie werden – Herbeigewünschte Änderungen für das, was fehlläuft – Mögliche Folgen von Wunscherfüllungen in der Politik – Die guten Vorsätze und warum Politiker die ihren nicht einhalten können – Alles dauert länger als man denkt – Das für das neue Jahr ständige Motto

Neujahr haben wir hinter uns, aber noch nicht die Neujahrsempfänge. Landauf, landab haben sie jetzt von neuem begonnen – the same procedures as every year, wenn auch ohne Miss Sophie und James. Der englische Dichter Lord Byron (1788 bis 1824) hat das neue Jahr einmal mit den Worten begrüßt: „Auf! Abermals ein neues Jahr … Wieder eine Poststation, wo das Schicksal die Pferde wechselt. “Und der Schriftsteller Michael Augustin, Jahrgang 1953, tat es mit den Worten: „Schon wieder Neujahr. Dabei hätte das alte noch für Monate gereicht.“ Ich möchte das neue Jahr, auch wenn wir seine ersten Tage schon hinter uns haben, mit einem Gedicht beginnen.

Das Januar-Gedicht von Erich Kästner

Wir sind im Januar, und daher handelt das Gedicht vom Januar. Geschrieben hat es Erich Kästner. Es ist eines von zwölf anderen Gedichten aus seinem Band „Die dreizehn Monate“, erschienen 1955, also in der Zeit des „Kalten Krieges“ zwischen westlich-freiheitlicher Demokratie und östlich-kommunistischer freiheitunterdrückender Diktatur. Einen dreizehnten Monat gibt es, wie wir wissen, nicht. Nur in Kästners Phantasie. Und so hat er denn auch bedichtet, wie der dreizehnte Monat wohl aussähe, wenn er sich herbeiwünschen ließe. Aber so weit sind wir noch nicht, wir sind erst im ersten Monat. Also:

D e r   J a n u a r

Von Erich Kästner

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.

Der Weihnachtsmann ging heim in seinen Wald.

Doch riecht es noch nach Krapfen auf der Stiege.

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.

Man steht am Fenster und wird langsam alt.

 

Die Amseln frieren. Und die Krähen darben

Und auch der Mensch hat seine liebe Not.

Die leeren Felder sehnen sich nach Garben.

Die Welt ist schwarz und weiß und ohne Farben.

und wär so gerne gelb und blau und rot.

 

Umringt von Kindern wie der Rattenfänger,

tanzt auf dem Eise stolz der Januar.

Der Bussard zieht die Kreise eng und enger.

Es heißt, die Tage würden wieder länger.

Man merkt es nicht. Und es ist trotzdem wahr.

 

Die Wolken bringen Schnee aus fernen Ländern.

Und niemand hält sie auf und fordert Zoll.

Silvester hörte man’s auf allen Sendern,

dass sich auch unterm Himmel manches ändern

und, außer uns, viel besser werden soll.

 

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.

Und ist doch hunderttausend Jahre alt.

Es träumt vom Frieden. Oder träumt’s vom Kriege?

Das Jahr ist klein und liegt noch in der Wiege.

Und stirbt in einem Jahr. Und das ist bald.

Wünsche, die für Oscar Wilde zur Tragödie werden

Das klingt nicht gerade fröhlich und zuversichtlich. Kaum hat das Jahr begonnen, denkt der Dichter resignativ schon an dessen Ende. Dabei überschütten wir uns doch zum neuen Jahr mit guten Wünschen: zum Erfolg, zur Gesundheit, zu schönen Dingen im ganzen Jahresverlauf – alles Ausdruck von Zuversicht und frohem Mut für das, was das neue Jahr doch zumindest bringen soll, auch wenn es das in seinem Verlauf häufig leider nicht tut. Ein unbekannter Autor hat sich zum neuen Jahr einmal dies gewünscht:

„Das neue Jahr setze dem Überfluss Grenzen und lasse die Grenzen überflüssig werden.

Das neue Jahr lasse die Leute kein falsches Geld machen, aber auch das Geld keine falschen Leute.

Nimm den Ehefrauen das letzte Wort und erinnere die Ehemänner dagegen an ihr erstes.

Gib den Regierungen ein besseres Deutsch und den Deutschen bessere Regierungen.

Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit und der Wahrheit mehr Freunde.

Sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen, aber noch lange nicht.“

Der Zyniker und Aphoristiker Oscar Wilde hat zum Wünschen gesagt: „Es gibt nur zwei Tragödien im Leben. Die eine besteht darin, dass man nicht bekommt, was man sich wünscht, und die andere darin, dass man es bekommt.“ Nun, wir müssen Oscar Wilde nicht ernstnehmen, denn auch er hat niemanden ernst genommen – außer sich selbst. Oder sollten wir vielleicht doch?

Herbeigewünschte Änderungen für das, was fehlläuft

Wer Verstand hat, wer durch Lesen, Hören und Erleben mitbekommt, was alles fehlläuft, welche Irrwege wir uns leisten, was alles zu beanstanden ist, der weiß seit langem, dass wir wesentliche Änderungen brauchen: in der Altersvorsorge, in der Gesundheitspolitik, in der Krankenversicherung, in der Familienpolitik, in der Mittelstandspolitik, in der Besteuerung, im Bildungswesen, auf dem Arbeitsmarkt, in der Energiewende- und Klimaschutzpolitik, in der Euro-Rettung, beim Gender-Wahn, bei den Subventionen, bei den Gemeindefinanzen, im deutschen Föderalismus, im Wahlrecht, in der Selbstbezogenheit und Autokratie der politischen Klasse, in der scheindemokratischen Verfassungswirklichkeit, also im Staatswesen als Ganzem.

Die beiden Tragödien

Folglich wünschen wir, die wir wissen, diese wesentlichen Änderungen doch wohl herbei. Bekommen wir nicht, was wir wünschen – und danach sieht es aus – wäre das sicher die eine der beiden Wilde’sche Tragödien, und die Wahrscheinlichkeit dafür ist erfahrungsgemäß groß. Sollten wir das zu Wünschende und Gewünschte aber wirklich bekommen, indem es zunächst angekündigt, dann beherzt beschlossen und anschließend schrittweise verwirklicht wird, müssen wir natürlich auch die Folgen der Wunscherfüllung tragen, also die andere Tragödie hinnehmen.

Mögliche Folgen von Wunscherfüllungen in der Politik

Dazu gehört vor allem die dann herrschende Eigenverantwortung in der Vorsorge und Fürsorge, also in Lebensbereichen, die zuvor der Staat durch seine Sozialpolitik zentralisiert, monopolisiert und für sich okkupiert hat. Dann würden bei Sorglosigkeit und Fehlverhalten nicht mehr individuelle Vorteile möglich sein, sondern schmerzhafte Nachteile drohen. Wer sich in die zuvor herrschenden Systeme willig oder widerwillig hat einfügen müssen, wer sich daher zweckmäßigerweise in sie eingerichtet, wer seine persönlichen Planungen an sie ausgerichtet hat, schließlich auch in ihren Kategorien zu denken sich angewöhnt und diese verinnerlicht hat, so falsch, so krank, so verlogen und verbogen sie auch waren (und noch immer sind), dem mag die Wunscherfüllung als eben jene zweite Tragödie vorkommen, von der Oscar Wilde gesprochen hat und die sich als so abwegig dann gar nicht herausstellt. Dies um so mehr dann, wenn die Änderungen nicht so ausfallen, wie sie notwendig sind, sondern so, wie sie im Bundestag aus dem Vermittlungsausschuss herauskommen und dann die eigentlich beabsichtigte Wirkung gar nicht oder nur zum Teil entfalten können.

Dann lieber wunsch l o s  glücklich werden

Bei diesen Aussichten könnte man geneigt sein, schicksalsergeben zu sagen: Wer beiden Tragödien Oscar Wildes entgehen will, für den böte es sich an, lieber wunsch l o s glücklich zu werden. Also kehren wir den Wünschen – zumindest jetzt hier – lieber den Rücken und besinnen uns darauf, dass wir ein neues Jahr nicht nur mit guten Wünschen, sondern auch mit guten Vorsätzen beginnen.

Die guten Vorsätze und warum Politiker die ihren nicht einhalten können

Gute Vorsätze sind deswegen so beliebt, weil man sie in freier Entscheidung zum Einhalten nicht gezwungen ist und sie sich immer wieder verwenden lassen. Auch ist die Neigung groß, zahlreiche Vorsätze zu fassen und schöne große. Wer dann mit ihnen wirklich Schritt halten will, braucht dafür Sieben-Meilen-Stiefel. Aber wer hat die schon. Und konsequent sein, ist, weil außerordentlich lästig, auch nicht jedermanns Sache. Franz Müntefering hat einmal gesagt: „Richtig konsequent sind nur Heilige und Verbrecher. Wir anderen müssen Slalom fahren.“ ((Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4. Januar) 2004). Er meinte damit die Politik. Und danach sieht sie deshalb auch aus.

Alles dauert länger als man denkt

Eine ebensolche Slalom-Fahrt ist, was an sogenannten an Änderungen im vergangenen Jahr schon beschlossen worden ist. Doch leider gelten auch für sie die Gesetzmäßigkeiten eines gewissen Herrn Murphy:

„Nichts ist so einfach, wie es aussieht.
Alles dauert länger als man denkt.
Alles kostet mehr als veranschlagt.
Wenn etwas schiefgehen kann, dann geht es schief.“

Die Gesetzmäßigkeiten des Herrn Murphy

Der Amerikaner Edsel Murphy hat bekanntlich die Gesetzmäßigkeit stetiger Ärgernisse und ständiger Tücken des Alltags entdeckt und formuliert. Zu seiner Hauptregel („Wenn etwas schief gehen kann, dann geht es schief“) hatte er hingefunden, als seine Braut die – ihm sehr unangenehme – Mitteilung machte, es sei Nachwuchs für ihn unterwegs. Aus dieser Hauptregel formulierten dann er und viele Nachahmer immer mehr Gesetzmäßigkeiten für immer weitere Lebensbereiche, für die sich die Bezeichnung „Murphys Gesetze“ eingebürgert hat.

„Software, die problemlos läuft, ist immer veraltet“

Eins für den Haushalt zum Beispiel lautet: „Dass etwas runterfällt, ist proportional zu seiner Zerbrechlichkeit.“

Oder: „Socken sind nicht gesellig, sie treten meist einzeln auf.“

Oder beim Einkaufen: „An der Supermarktkasse kommt die andere Schlange immer schneller voran.“

Oder in der Bank: „Um einen Kredit zu bekommen, musst Du erst nachweisen, dass Du ihn nicht brauchst.

Oder eines der Computer-Gesetze: „Software, die problemlos läuft, ist immer veraltet.“

Und: „Software, die idiotensicher ist, wird meist auch von solchen bedient.“

Und ein letztes Beispiel: „Selbst in den ausführlichsten Bedienungsanleitungen ist stets das aktuelle Problem nicht beschrieben.“

Das für das neue Jahr ständige Motto

Ich wünsche uns allen, dass sich Murphy’s Gesetze an uns möglichst selten vollziehen, und komme zu dem für das neue Jahr ständigem Motto: Wir erhoffen das Beste, wir befürchten das Schlimmste und nehmen alles, wie es kommt – mit einem gequälten Lächeln ergeben hin. Als Pensionär, der ich nun schon länger bin, habe ohnehin einen Zustand erreicht, den mein früherer FAZ-Kollege Richard Becker (Sportredaktion) aus der Sicht seiner damals jungen Generation so beschrieben hat: „ein von ihr finanzierter, völlig unverdienter Erlebnisurlaub, von dem man noch nicht einmal weiß, wann er zuende ist“. Stimmt, der Ruhestand ist Urlaub, die Politik das abenteuerliche Erlebnis.

Print

Schreibe einen Kommentar