Tut das auch die „schweigende Mehrheit“? Zum Nachdenken zwischen den Jahren
Wir wissen: Es gibt eine schweigende Mehrheit. Wir wissen nicht, wozu sie schweigt: Billigt sie ein Geschehen, oder lehnt sie es ab. Trotzdem sagt man: Wer schweigt, stimmt zu. Mag sein, muss aber nicht, also nicht immer, nicht zwangsläufig. Eben darum lautet das lateinische Original zutreffender: Qui tacit consentire videtur – wer schweigt, scheint zuzustimmen.*) Gleichwohl sind die folgenden Verse des niederländischen Liederschreibers, Sängers, Schriftstellers und Schauspielers Herman van Ween durchaus bedenkenswert:
Wer hat gewollt, dass Du
nach der Weise entmündigter Greise
nur heimlich und leise
das Unrecht verfluchst?
Denn schweigst Du nur immer,
wird alles nur schlimmer,
siehst nie einen Schimmer
vom Recht, das Du suchst.
Denn für den, der nichts tut,
der nur schweigt, so wie Du,
kann die Welt, wie sie ist,
auch so bleiben.
Wer schweigt, der stimmt zu.“
(Hermann van Veen: Wer schweigt, stimmt zu. Näheres über ihn hier.) Von Bertold Brecht gibt es das Wort „Die Bürger werden eines Tages nicht nur die Worte und Taten der Politiker zu bereuen haben, sondern auch das furchtbare Schweigen der Mehrheit.“
_______________________________________________________________
*) Das universal-lexikon.de (hier) erläutert dazu: „Dieser lateinische Satz findet sich im Corpus Iuris Canonici, und zwar im so genannten Liber Sextus. Diese Sammlung von Konzilsbeschlüssen und päpstlichen Erlassen ist von Papst Bonifatius VIII. (Amtszeit von 1294 bis 1303) angelegt worden. Schon in der Rechtsprechung der Griechen und Römer hatte der Grundsatz Geltung, wie ähnliche Formulierungen bei Sophokles, Platon und Cicero zeigen. Auch heute noch wird er im gleichen Sinne (lateinisch und deutsch) zitiert.“
Als allgemeiner Rechtsgrundsatz heute gilt der Satz aber in dieser Version: Qui tacet consentire non videtur. Er besagt, dass Schweigen keine Willenserklärung darstellt und eine Willenserklärung auch nicht ersetzen kann (hier).
Der Gründe sind viele, die Menschen dazu bewegen können, etwas nicht zu kommentieren, lieber zu schweigen.
Deshalb entbehrt es meiner Meinung nach jeglicher Grundlage, davon auszugehen, daß, wer schweigt, zustimmt.
Schweigen generell als Zustimmung zu Unrecht zu werten ist mit Verlaub Unsinn. Auf so eine Idee könnte auch nur ein „Zurschausteller“ kommen, jemand der auf unmittelbare Rückkopplung durch sein Publikum angewiesen ist. Ich bezweifele deshalb, dass es so gemeint ist. Es heißt aber auch: „Denn schweigst Du nur immer“. Schweigen wird hier eher als allgemein unschlüssige Trägheit angesehen. Das darin erwähnte „Unrecht“ hat ein anderer erkannt.
Dem Tollkühnen am Hofe des tyrannischen Königs der spontan dem ehrlichen Hofnarren zugestimmt und sein Recht lautstark eingefordert hätte wäre der Strang wohl sicher gewesen. Ob dieser Narretei hätte der übrige Hofstaat vielleicht die Schulter gezuckt aber eine Ehre oder ein langes Gedenken wäre dem „Mutigen“ wohl kaum angedient worden.
Schweigen kann also durchaus auch zielgerichtete Taktik sein welche den passenden Augenblick erwartet.
Reden ist Silber – schweigen ist Gold wäre das Gegenteil davon. Auch dies ist als universelle Aussage falsch.