Immer wieder traktieren sie ihre Bürger mit dem leidigen Straßenausbau-Beitrag – Ein jüngster Fall spielt in Lütjenburg: Ein Landwirt soll 189 000 Euro zahlen – Aber Gemeinden dürfen die Anrainer am Straßenausbau beteiligen – Darüber kommt es immer wieder zu Konflikten – Interessenverband kritisiert die Anrainer-Belastung als ungleich und ungerecht – Weitere Kritik: Gemeinden setzen die Kostenbeteiligung häufig zu hoch an – Verfassungsklage erhoben
Stellen Sie sich vor: Sie bekommen einen Brief, öffnen ihn, ziehen eine Rechnung heraus und sollen 217 000 Euro zahlen. Sie denken: Das kann nicht wahr sein. Es ist aber wahr. Der Brief kommt von der Gemeinde. Sie verlangt diesen Betrag als Beitrag für den Straßenausbau. Nicht jeder erlebt das, aber für Eigentümer von Grundstücken und Häusern, die an einer kommunalen Straße liegen, ist das gang und gäbe: Die Kommune saniert von Grund auf eine Straße oder baut sie aus und verlangt anschließend von den anliegenden Eigentümern, den Anrainern, eine happige Kostenbeteiligung. Warum darf die das? Und warum eigentlich sollen diese Bürger das in einer Höhe zahlen, die ihre Verhältnisse übersteigt?
Eine solche Rechnung traktiert gerade eine Landwirtfamilie in Schleswig-Holstein. Die Kleinstadt Lütjenburg hatte 2011 eine rund einen Kilometer lange Straße ausbauen lassen. Diese Straße führt zu einer mittelalterlichen Wehranlage und zum Eiszeitmuseum des Ortes (hier), aber auch zum Hof dieses Landwirts und an seinen Agrarflächen vorbei. Die Baukosten beliefen sich auf rund 615 000 Euro. 75 Prozent davon legte die Stadt auf die insgesamt sechs Anlieger um. Der Landwirt klagte. Das Verwaltungsgericht in Schleswig (Aktenzeichen: 9 A 206/14) zog von der ursprünglichen Forderung der Stadt die Kosten für die Straßenbeleuchtung und ein Stromkabel ab. Aber 189 000 Euro soll diese Bauernfamilie immer noch zahlen.
Gemeinden dürfen die Anrainer am Straßenausbau beteiligen
Bei einem so horrenden Betrag fragt man sich, ob Kommunen derartiges dürfen. Ja, dürfen sie, jedenfalls im Grundsatz. Die rechtliche Grundlage dafür findet sich in den Kommunalabgesetzen der Bundesländer und in den örtlichen Kommunalsatzungen (Näheres darüber hier). Aber Gesetze und Satzungen sind nicht in Stein gemeißelt, sie lassen sich ändern. Bestrebungen dazu gibt es längst. Straßenausbaubeträge, die Anlieger einseitig belasten, erreichen inzwischen Belastungen, die für einzelne Bürger mit ihren Familien nicht mehr zumutbar sind, zumal wenn sie sie finanziell ruinieren. Es ist auch nicht einzusehen, warum weit überwiegend die Anlieger die Ausbaukosten tragen sollen, zumal wenn die Straße weit überwiegend von anderen Bürgern begangen oder befahren wird. Eine solche einseitige Belastung wiegt umso schwerer, wenn die Anleger vor dem Ausbau noch nicht einmal gefragt werden, wenn sie die auf sie zukommende individuelle Belastung im Voraus noch nicht einmal kennen, also nicht vorsorgen können, und wenn sie den Ausbau ablehnen, aber die Kommune sich darum gar nicht schert und die Straße trotzdem ausbaut.
Die Höhe der Beiträge richtet sich nach der Art der Straße
Allerdings sind Unterschiede bei der Anliegerbelastung vorgesehen. Denn mit welchem Anteil an den Baukosten die Kommune die Ausbaubeiträge festlegen darf, hängt von der Art der Straße ab: Je mehr fremder Verkehr auch neben dem der Anwohner die jeweilige Straße benutzt, desto geringer ist der Anteil anzusetzen. Unterschieden werden rechtlich drei Klassen von Verkehrswegen. Für reine Anliegerstraßen dürfen die Anwohner-Eigentümer mit 75 Prozent der Ausbaukosten belastet werden, für Haupterschließungsstraßen mit 50 bis 60 Prozent und für Hauptverkehrsstraßen mit 25 bis 60 Prozent. Differenzierungen sind also durchaus vorgesehen, und wie hoch die Beiträge letztlich ausfallen, ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich und in der örtlichen Beitragssatzung festgeschrieben.
Zwischen Anwohnern und Gemeinden kommt es immer wieder zu Konflikten
Berechnet wird der Ausbaubeitrag zusätzlich auch nach der Größe des jeweiligen Grundstücks und nach der Art seiner Bebauung. Mehr zu zahlen ist zum Beispiel für gewerblich genutzte Grundstücke und für Häuser mit mehreren Geschossen. Näheres regeln die örtlichen Beitragssatzungen. Doch es versteht sich, dass Anwohner und Kommune immer wieder darüber streiten, in welche die Kategorie die ausgebaute Straße einzuordnen ist. Daher rät der Verband Wohneigentum e.V. (hier), sich den Verkehr in der betreffenden Straße genau anzusehen: „Eine scheinbare Anliegerstraße mit Ein- und Zweifamilienhäusern könnte beispielsweise eine Haupterschließungsstraße sein, wenn Besucher eines nahegelegenen Krankenhauses dort parken.“
Interessenvertreter der Anrainer: Die Straßenausbau-Beiträge abschaffen
Der Verband befindet: „Straßenausbaubeiträge, die Anlieger finanzieren müssen, sind ungerecht. Straßen werden von der Allgemeinheit genutzt, Instandsetzungen und Erneuerungen gehören zur kommunalen Daseinsvorsorge. Das Ziel des Verbands ist, das kommunale Abgabengesetz beziehungsweise die Straßenausbau-Beitragssatzungen (STRABS) abzuschaffen und die Finanzierung über Steuern auf alle Straßennutzer zu verteilen. Er hat als „App“ zum Herunterladen für Smartphones auch „STRABS“ eingerichtet, gedacht für jene, die alle Neuigkeiten um die Straßenausbaubeiträge verfolgen möchten. Sie ist unentgeltlich und funktioniert auf Android und IOS (hier).
Wie sich Gemeinden drücken, um die Anwohner bezahlen zu lassen
Der Verband schreibt: „Die Erhebung von erneuten Straßenausbaubeiträgen (nach der sogenannten Ersterschließung) durch die Kommunen stößt zunehmend auf Kritik. Dies vor allem deshalb, weil viele Kommunen ihre innerörtlichen Straßen allzu oft nicht zeitgerecht und regelmäßig auf eigene kommunale Kosten sanieren, sondern solange warten, bis eine Komplettsanierung auf Kosten der Anlieger unumgänglich ist. Auslöser der öffentlichen Diskussionen sind nicht nur die Fälle, in denen Grundbesitzer zu immensen Beiträgen herangezogen wurden und die mit dem Verlust der eigenen wirtschaftlichen Existenz enden. Bereits die finanzielle Belastung in üblicher Höhe, mit der der Anrainer nicht rechnen musste, ist oft unzumutbar.
Anrainer-Belastung kritisiert als ungleich und ungerecht
Der Verband verurteilt die Abgaben als ungleich und ungerecht. Ungleich, weil die Situation des Bürgers von der zufälligen Lage seines Grundstücks in dieser oder jener Kommune abhängt. Ungerecht,
– weil die Bundesautobahnen und Bundesstraßen vollständig der Bund und die Landstraßen sowie Staatsstraßen vollständig die Länder bezahlen,
– weil man bei den kommunalen Straßen hiervon abweicht und die Kosten zum größten Teil den Anliegern aufbürdet
– und weil auch die kommunalen Straßen nicht nur von den Grundeigentümern, sondern auch ebenso von allen anderen, also der Allgemeinheit genutzt werden können und werden.
Er fordert, die Ortsstraßen aus Steuermitteln zu finanzieren (hier). Zur Verfügung steht dafür auch die Grundsteuer, die die Kommunen als eigene Steuer erheben (dürfen). Wofür müssen sämtliche Grundstückseigentümer diese Steuer zahlen, wenn nicht gerade auch für den Straßenausbau. Nicht anders die Grunderwerbssteuer. Die ist zwar eine Ländersteuer, doch können die Länder die Einnahmen daraus an ihre Kommunen weiterreichen (hier) – was viele allerdings nicht tun.
Weitere Kritik: Gemeinden setzen die Kostenbeteiligung häufig zu hoch an
Zahlen müssen die Anrainer nicht für alle Bauarbeiten, also nicht für bloße Instandhaltungen, sondern nur für wirkliche Verbesserungen. Näheres dazu hier. Der Verband Wohneigentum kritisiert außerdem, dass Kommunen die Kostenbeteiligung immer wieder zu hoch ansetzen: „Es ist leider Usus, dass in diese Bescheide Beträge hinein gerechnet werden, die nichts darin verloren haben.“ Verkehrswege würden beispielsweise fälschlicherweise als Anliegerstraße klassifiziert oder Baukosten auf die Anlieger abgewälzt, die nach dem Gesetz gar nicht umlagefähig sind.
Anwalt: Die meisten Bescheide der Gemeinden sind angreifbar
Rechtsanwalt Janus Galka, Schweinfurt, erläutert in einem Gespräch: „Die Berechnung der Beiträge ist in der Praxis sehr komplex und die meisten Bescheide sind angreifbar. Allerdings ist die Rechtsprechung in diesem Rechtsgebiet so umfangreich, so dass man als Betroffener kaum nachvollziehen kann, wo im Einzelfall Fehler liegen könnten. Insoweit stellt ein auf Verwaltungsrecht und insbesondere Beitragsrecht spezialisierter Anwalt sicherlich eine Hilfe dar, zumal ein fundiert begründeter Rechtsbehelf durchaus eine erhebliche Ersparnis bringen kann. Die von den Gemeinden durchschnittlich geforderten Beträge liegen zwischen 5.000 und 10.000 Euro.“
Widersprüche gegen Bescheide schützen vor sofortiger Zahlungspflicht nicht
Galka weiter: „Erhält man einen Bescheid, ist Untätigkeit die schlechteste Lösung. Man hat in der Regel nur einen Monat Zeit, Widerspruch einzulegen. Im Zusammenhang damit muss man auch wissen, dass ein solcher Widerspruch keine so genannte „aufschiebende Wirkung“ entfaltet. Grundsätzlich ist man also trotz Einlegung eines Widerspruchs verpflichtet, den geforderten Betrag innerhalb der im Bescheid angegebenen Frist zu zahlen. Gegen diese Zahlungspflicht vorzugehen ist auch möglich, hierzu ist ein so genannter ‚Antrag auf Aussetzung der Vollziehung’ notwendig, der allerdings auch gut begründet sein sollte.“ (Die ganze Erläuterung hier).
Gemeinden in Bayern müssen die Beiträge erheben, auch wenn sie nicht wollen
Straßenanlieger müssen Ausbaubeiträge selbst dann zahlen, wenn ihre Gemeinde sie damit nicht belasten will. Ein Bespiel dafür ist das Urteil des Bayerische Verwaltungsgerichtshofs aus dem Jahr 2016 gegen die Gemeinde Hohenbrunn. Mit diesem Urteil ist es bayrischen Gemeinden nicht mehr möglich, die Kosten für eine Sanierung von Ortsstraßen aus dem Gemeindesäckel zu bezahlen. Demnach dürfen sie Grundstückseigentümer von fälligen Ausbaubeiträgen in der Regel nicht verschonen. (Quellehier).
Verfassungsklage erhoben
Ein Kämpfer gegen die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen ist der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN). Er hält diese Beiträge für grundgesetzwidrig und hat eine entsprechende Verfassungsklage erhoben. Näheres dazu hier. Dass es auch ganz ohne Straßenausbaubelastung für die Anlieger geht, zeigen Baden-Württemberg, Hamburg und Berlin; dort werden solche Beiträge gar nicht erhoben. Das sollte aus Sicht der Opfer beispielgebend sein.