Zweimal jährlich findet sie statt – Sie ist ein unwirksames und daher überflüssiges staatliches Diktat – Die ursprüngliche Absicht wird verfehlt – Heute stecken Vergnügungssucht und Geschäftsinteressen dahinter
Seit heute, 29. März, haben wir sie wieder, die Sommerzeit. Wie seit 1980 jedes Jahr am letzten März-Sonntag mussten wir die Uhren in der Nacht zum folgenden Montag um eine Stunde vorstellen, und schon bleibt es abends scheinbar länger hell. Diese Zeitumstellung sollte ursprünglich Energie sparen helfen (hier), weil dann das Tageslicht besser genutzt werden würde: Licht und Wärme von der Sonne sind umsonst, Licht von der Glühbirne und Wärme von Heizungen kosten Geld.
Anders als gedacht wird Energie nicht gespart, im Gegenteil
Aber Energie wird keineswegs gespart, im Gegenteil, der Stromverbrauch pflegt mit der Sommerzeit sogar zu steigen. Um bis zu vier Prozent. Das jedenfalls hat eine Forschergruppe der University of California in Santa Barbara 2008 herausgefunden. Über drei Jahre hinweg hatte sie die Stromzählerstände von mehr als sieben Millionen Privathaushalten im amerikanischen Bundesstaat Indiana ausgewertet. Wohl gebe es geringfügige Einsparungen im Frühjahr, aber sie würden durch einen umso höheren Stromverbrauch im Spätsommer und Herbst zunichte gemacht. Für diese negative Bilanz machen die Forscher vor allem den erhöhten Heizbedarf in den dunklen Morgenstunden und die stärkere Benutzung von Klimaanlagen an den längeren Nachmittagen und warmen Sommerabenden verantwortlich. Untersucht hatte sie nur Privathaushalte, nicht. Industrieanlagen und andere Wirtschaftsbereiche. Doch vermutete die Forschergruppe, die meisten Unternehmen würden sich an normale Arbeitszeiten bei Tageslicht halten und daher weniger von der Sommerzeitumstellung betroffen sein als Privathaushalte.
Das Umstellen der Uhrzeit ist überflüssig
Es liegt nahe anzunehmen, dass es woanders nicht anders ist als damals in Indiana. Also wäre die Sommerzeit, um Energie zu sparen, nicht mehr nötig. Was unnötig ist, ist überflüssig. Das hat auch eine Studie des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft 2010 ergeben: Zwar werde weniger Strom für Licht gebraucht, dafür aber mehr Strom für die abendliche Freizeitgestaltung und für morgendliches Heizen (siehe hier). Dass dem so ist, hat die Bundesregierung auf eine FDP-Anfrage schon 2005 bestätigt (hier). Andere Studien sind in den zurückliegenden Jahren zum gleichen Ergebnis gekommen. Siehe ebenso hier. Folglich könnten wir bei der Normalzeit, heute Winterzeit genannt, bleiben und brauchten unsere Uhren, brauchten unseren Biorythmus sowie den unserer Tiere in Haus und Landwirtschaft nicht zweimal im Jahr umzustellen. Viele andere Probleme, die sich durch die Umstellung zweimal im Jahr ergeben, sprechen ebenfalls dafür, das Umstellen abzuschaffen.
Manipuliert wurde die Uhrzeit einst schon 1784
Bereits seit mehr als vier Jahrzehnten haben wir dieses staatliche Uhrzeitumstellungsdiktat. Beschert hat es uns purer politischer Aktionismus nicht nur in Deutschland allein. Es ist eine hilflose Reaktion auf Ölpreissteigerungen durch das Kartell arabischer Ölförderländer (Opec) in den 1970er Jahren gewesen. Anders gesagt: eine Schnapsidee. Allerdings nicht die erste mit der Uhrzeit. 1784 wurde die Uhrzeit umgestellt, um den Verbrauch von Kerzen zu verringern. 1916, mitten im Krieg, führte das Deutsche Reich die Sommerzeit ein. Zwischen den beiden Weltkriegen (1919 bis 1939) verschwand sie wieder. Im Kriegsjahr 1940 wurde sie abermals ausgegraben. Von 1950 bis 1979 gab es sie in Deutschland nicht mehr. Den größeren historischen Rückblick und weitere Einzelheiten finden Sie hier.
Also weg damit
Die Stimmen gegen das Umstellen der Uhrzeit nehmen zu. Jüngste Umfragen legen das nahe. Fast drei Viertel der Menschen in Deutschland sind dagegen (hier). In einer anderen Umfrage mit mehr Teilnehmern (über 47 000) lehnen 60 Prozent die Zeitumstellung ab, nur 25 Prozent befürworten sie (hier). Wohl deswegen auch hatte die FDP im Januar 2012 beschlossen, sich für das Abschaffen der Sommerzeit einzusetzen und diese Stimmen vielleicht einzufangen. Also weg damit? Ja, aber das ist schwierig. Immerhin drehen am Uhrzeiger alle EU-Länder, die Schweiz und Türkei ebenfalls, und daher ist ein deutscher Alleingang schwer vorstellbar. Auch finden es viele Menschen unserer Freizeitgesellschaft schön, sich der Illusion der längeren abendlichen Helligkeit hinzugeben, auf Terrassen Speise, Trank und Schwatzen oder auch längeres Wandernkönnen zu genießen, wohlwollend begleitet von jenen, die davon finanziell profitieren: vom Gastgewerbe und vom Staat als Fiskus. Gegen diese Art von Hedonismus wird schwer anzukommen sein. Gegen fiskalische Interessen schon gar nicht. Es sei denn, wir Bürger rafften uns auf, politischen Druck zu machen.
Ein Deutscher Alleingang wird vermutlich gar nicht nötig sein. Im Grunde ist die Mehrheit in allen Staaten rundherum von der Praxis genervt. Ein kurzes Absprechen auf internationaler Ebene und dann machen wir es den Russen nach. Stellen die Uhr im Oktober einfach nicht mehr auf „Normalzeit“ zurück. Bei den Russen hat’s geklappt.
MfG
Hans
Sehr verehrter Herr Dr. Krause,
vielen Dank für diese kurze Zusammenfassung des Irrsinns Sommerzeit. Leider kommen Sie zu der Schlussfolgerung, dass wegen der diesbezüglichen Kumpanei der EU- Staaten, der Schweiz und der Türkei „ein deutscher Alleingang schwer vorstellbar“ ist.
Ist Ihnen da etwa entgangen, dass dies eigentlich keine Hürde darstellt? Am deutschen Wesen sollte und soll immer noch die Welt genesen. Neben ausreichend bekannten geschichtsträchtigen Ereignissen möchte ich aktuell nur die Energiewende erwähnen. Wer dieses Fiasko dem Rest der Menschheit aufdrücken will, für den dürfte es doch ein Klacks sein, ein paar europäische Länder dazu zu bewegen, ihre Uhren dem Normallauf zu überlassen.
Das keine Energie eingespart wird ist bekannt. Trotzdem bietet die Sommerzeit bessere Bedingungen für Freizeit und Sport! Eine Stunde länger hell ist sehr schön! Soweit ich weiß, hat der russische Ministerpräsident für Russland die Sommerzeit festgeschrieben. Es wird nicht mehr zurück geschaltet. Dem würde ich zustimmen!
Was wäre an einem deutschen Alleingang denn tatsächlich so schädlich? Man sollte es doch einfach mal ausprobieren. Wahrscheinlich werden sich die anderen dann sowieso schon danach richten.
Übrigens ist es eine Illusion, daß es eine Stunde länger hell ist. Es wird nur an der Uhr gedreht. Wir müssen ja morgens trotzdem wieder um 5 Uhr raus. Dann ist es gar nicht so angenehm, wenn es um 23:00 während man versucht zu schlafen immer noch hell und zu warm ist.
Die Normalzeit ganzjährig ist das Richtige. Im Sommer ist es einfach naturgemäß länger hell, auch ohne an der Uhr zu drehen. Das reichte auch früher schon für jeden Gartenarbeiter und Biergartensitzer.
Für Deutschland gesehen, wäre sogar eine halbe Stunde Korrektur zurück für die Normalzeit angebracht. Zur Normalzeit um 12:00 haben wir den Sonnenhöchststand gerade mal erst am Ostrand Deutschlands, etwa bei Görlitz.
Wirklich echte Probleme haben nach meinem Wissensstand nur die schweizerischen Bauern, weil es für Kühe schwierig ist sich an wechselnde Melkzeiten zu gewöhnen.
Deshalb sind auch Milch- und Schokoladeprodukte teurer geworden.
Mir scheint, dass die Kommentatoren, die eine Uhrzeit auf der Basis ganzjähriger Sommerzeit befürworten, nicht ganz auf dem Laufenden sind, was Russland angeht: Die dortige Sommerzeit versuchte man 2011 für das ganze Jahr festzuschreiben. Das Ergebnis war, dass es zu einem so starken Anstieg von Depressionen bis hin zu Selbstmorden kam, dass die Duma im Sommer vorigen Jahres beschloss, zur Normalzeit zurückzukehren, und zwar nunmehr ganzjährig. Das geschah im Oktober v. J. durch einmaliges Zurückstellen der Uhr.
Dass die Russen aus dem Fiasko gelernt und in dieser Hinsicht absolut richtig gehandelt haben, wird durch die Chronobiologie, die aufgrund wissenschaftlicher Forschungsergebnisse seit langem durchweg die fortlaufende Normalzeit MEZ befürwortet, bestätigt. Ganzjährig Sommerzeit? Für immer ein falsches Signal für die innere Uhr? Nein, das ist keine Alternative, und Kinder und Jugendliche würden darunter am meisten leiden. Wer Interesse hat, lese einmal dazu das vor einem halben Jahr erschienene aufschlussreiche Buch des Neurobiologen und Wissenschaftsjournalisten Peter Spork mit dem Titel „Wake up – Aufbruch in eine ausgeschlafene Gesellschaft“.