Die mögliche Klugheit von Bernd Lucke

Der große innerparteiliche Konflikt um die neue Satzung der Alternative für Deutschland vor dem AfD-Bundesparteitag in Bremen

Nein, eine gute Presse hat diese neue Partei Alternative für Deutschland (AfD) nicht. Und das vor ihrem Bundesparteitag in Bremen. Daran ist aber nicht „die Presse“ schuld, auch wenn etliche Medien der Partei nicht gerade wohlwollen. Unübersehbar nämlich gibt es im AfD-Bundesvorstand Konflikte, und unter den Parteimitgliedern gibt es mindestens drei Gruppierungen oder Flügel mit ebenfalls unterschiedlichen Meinungen. Sie werden sichtbar in der Diskussion um die Verfasstheit der Partei, um deren „Verfassung“, die schlicht nur „Satzung“ heißt. Dabei verfügt die AfD über eine Satzung durchaus, sie ist also nicht satzungslos, was ohnehin gesetzeswidrig wäre. Es ist die Satzung vom April 2013, die auf dem Gründungspartei beschlossen worden ist. Diese Gründungssatzung will der AfD-Bundesvorstand ersetzt sehen. Als treibende Kraft dafür gilt Bernd Lucke. Nach langer interner Debatte mit und unter den Mitgliedern, der Parteibasis, liegt dieser Basis der Entwurf der Satzungskommission vom 17. Dezember 2014 vor. Es ist die nunmehr vierte Version (abgekürzt v4). Über sie soll der Parteitag in Bremen abstimmen. Aber von einem Konsens ist dieser Entwurf noch weit entfernt.

Viele Änderungsanträge und 15 Sondervoten aus der Satzungskommission selbst

Das sieht man schon daran, dass die Basis auch gegen die vierte Version viele Änderungsanträge eingebracht hat. Teils sind es Anträge Einzelner, teils Anträge von Arbeitskreisen. Selbst Mitglieder der Satzungskommission sind nicht sämtlich mit dem Entwurf in allen seinen Teilen einverstanden. Sie haben sich mit insgesamt fünfzehn Sondervoten bemerkbar gemacht und stoßen damit bei vielen Mitgliedern auf Zustimmung. Besonders hervorgetreten ist eine „Satzungs-Initiative“ (SI). Sie hat viele Änderungswünsche in einem gemeinsamen Antrag zusammengefasst und ebenfalls vorgelegt. Namentlich unterzeichnet ist sie von 82 Parteimitgliedern. Weitere, namentlich nicht genannte Unterstützer sollen ebenfalls dahinterstehen.

Kritiker sehen Mitgliederrechte geschwächt

Diese Initiative „SI-Mitglieder-2015“ wirft dem Entwurf der Satzungskommission (SK-Entwurf) wesentliche demokratische Defizite vor. Sie kritisiert, der SK-Entwurf übertrage Aufgaben, die originär als dem höchsten Beschlussgremium dem Parteitag zustünden, an eine Länderkammer, genannt „Konvent“. Sie warnt vor Durchgriffsrechten des Bundesvorstands und Blockademöglichkeiten durch ihn. Der personell kleine Konvent werde so eher zu einer Interessengemeinschaft „IG Parteiführung“. Die Initiative sieht Mitgliederrechte eingeschränkt sowie Kreis- und Bezirksverbände zu reinen „Ausführungsbetrieben“ werden. Die Willensbildungsrechte zu stärken, finde gerade nicht statt. Mitglieder- und Delegiertenparteitage würden zu Abnick-Veranstaltungen verkümmern. Die Musik solle allein „ganz oben“ spielen. Für eine Partei neuen Typus’, die sich als Alternative zu etablierten Parteien verstehen wolle, werde der SK-Entwurf in vielen wichtigen Bereichen den Notwendigkeiten einer starken, den Menschen und Mitgliedern zugewandten Partei keineswegs gerecht. Kämen am SK-Entwurf in Bremen keine entscheidenden Änderungen zustande, will die Initiative ihn ablehnen.

Widerstand auch gegen nachträgliches Aufblähen der Tagesordnung

Starken Widerstand aus der Parteibasis gibt es auch, weil der AfD-Bundesvorstand die Tagesordnung in Bremen an allen drei Tagen mit etlichen Experten-Vorträgen über „Alternativen zur Politik der Altparteien“ (mit Themen zur Sozial-, Gesundheits- und Steuerpolitik) beladen hat. Damit blähe er die Tagesordnung unnötig auf, lautet der Vorwurf. Vorgesehen nämlich war die Veranstaltung als reiner Satzungsparteitag, um für die Beratungen genug Zeit und Ruhe zu haben. Die Widerständler sehen sich mit der Erweiterung überfahren und in ihr einen Trick des Vorstandes. Offenbar befürchte dieser, es kämen überwiegend satzungsinteressierte Mitglieder und streitbare Satzungsspezialisten nach Bremen, so dass er Gefahr laufe, mit dem SK-Entwurf zu scheitern. Daher sollten die Vorträge die Satzungsdiskussion garnieren und auflockern, damit eine größere Menge an Mitgliedern nach Bremen reise – in der Hoffnung, dass der Vorstand seine Wunschsatzung durchbekomme.

Eine erste und eine überraschend zweite Umfrage des Bundesvorstands

Weil dieser Widerstand so stark war, sah sich der Vorstand zu einer partei-internen elektronischen Umfrage genötigt, um von den schon angemeldeten Teilnehmern zu dieser von ihm erweiterten Tagesordnung ein „klares Meinungsbild“ einzuholen; sie möchten bitte ihre „persönliche Präferenz“ mitteilen. Am 6. Januar schickte er sie herum. Dem Vernehmen nach hat sie ergeben, dass rund drei Viertel der Antworten ablehnend ausgefallen ist. Aber am 12. Januar traf vom Vorstand eine zweite Umfrage ein und forderte nochmals zu einer Entscheidung für oder gegen die Erweiterung auf.

Die Kritiker werfen dem Vorstand Manipulierung vor

Man konnte daraus den Eindruck gewinnen, dass dem Vorstand das erste Meinungsbild-Ergebnis nicht gepasst hatte. Denn nun führte er Gründe pro Erweiterung auf, die bitte zu erwägen seien. Außerdem hob er hervor, warum die Abstimmung vorab notwendig ist: „Wenn unsere Gäste aber ausgeladen werden sollen, können wir dies nicht erst am Freitagabend entscheiden.“ Das scheint viele beeindruckt zu haben, denn nun soll eine Mehrheit für die Erweiterung gestimmt haben. Dabei hätten die Gäste schon nach der ersten Meinungsumfrage ausgeladen werden können. Die Kritiker werfen dem Vorstand vor, er habe das Ergebnis manipuliert. Dem allerdings steht möglicherweise entgegen, dass die AfD-Bundesgeschäftsstelle schon am 7. Januar  eine Korrektur-Mail verschickt: Die Abfrage vom Vortag sei ein zeitliches Versehen gewesen, sie habe erst nach dem 9. Januar herausgehen sollen. Daher werde die Abfrage später ein zweites Mal verschickt. Das ermöglicht Zweifel, ob sich wirklich schon am ersten Abfragetag eine Drei-Viertel-Ablehnung ergeben hat.  Das letzte Wort über die Tagesordnung allerdings hat der Parteitag.

Ein Vorparteitag, der die untere Führungsschicht auf Linie bringen soll?

Für Erregung gesorgt hat auch, dass Bernd Lucke (zusammen mit dem Vorstandsmitglied Gustav Greve) für den 18. Januar in Frankfurt die Landes-, die Kreis- und die Bezirksvorsitzenden der Partei zu einer Vorkonferenz zum Parteitag eingeladen hat, und zwar privat, nicht im Namen des Bundesvorstandes. Eine solche Versammlung ist in der noch aktuellen Gründungssatzung nicht vorgesehen, schon gar nicht direkt vor einem Parteitag. Sie enthält auch keine allgemeine Regelung, die auf ein solches Recht schließen lässt. Innerparteiliche Kritiker, werfen Lucke vor, dieser „Vorparteitag“ solle die Vorsitzenden der unteren Parteigliederungen auf Vorstandslinie bringen. Die Einladung hatte ausgelöst, dass fünf führende Parteimitglieder an Lucke zum Jahresbeginn einen Brief schrieben. Medien haben als „Brandbrief“ bezeichnet. Die Einzelheiten sind hier nachzulesen.

Zielscheibe der Kritik ist Bernd Lucke, ausgerechnet der Held der Partei

Der innerparteiliche Konfliktstoff ist also groß. Zielscheibe der Kritik ist Bernd Lucke, der eigentlich doch der Parteiheld ist. Ihm werden autoritäres Gebaren, Alleingänge, schwierige Zusammenarbeit und mangelnde Kompromissbereitschaft zur Last gelegt. Daher auch die Sorge vor einem alleinigen Bundesvorsitzenden Lucke. Denn darauf besteht er, ein Entgegenkommen lehnt er dem Vernehmen nach bisher strikt ab. Implizit hängt ein Drohen Luckes im Raum, zu gehen, wenn sich der Parteitag nicht für den SK-Satzungsentwurf und für ihn als alleinigen Bundesvorsitzenden entscheide. Damit spielt er auf Alles oder Nichts. Darin steckt die unausgesprochene rhetorische Frage: Was wird aus der AfD, wenn ich gehe? Der Partei soll also richtig der Schreck in die Glieder fahren. Das geschieht auch. Eben darum: An Lucke und an der Satzung, die in Bremen beschlossen werden soll, scheiden sich die innerparteilichen Geister. Es ist ein Ringen zwischen im Wesentlichen drei Parteiflügeln, wobei es auch Überschneidungen gibt. Was unterscheidet sie?

Wofür der eine Flügel steht

Kurz und ohne die an sich nötigen Feinheiten gesagt: Die eine Gruppierung sieht in Bernd Lucke den geborenen alleinigen Vorsitzenden der Partei. Für sie ist Lucke das Gesicht der Partei gegenüber der Öffentlichkeit. Er ist weithin bekannt, er vertritt die Partei nach außen hin hervorragend, ist für sie unentbehrlich. Ohnehin sei eine Partei durch einen einzigen Vorsitzenden besser zu führen und zu vertreten als mit dreien oder zweien.

Was der andere Flügel fürchtet

Für die andere Gruppierung ist er ebenfalls unentbehrlich, aber sie will ihn als Primus inter pares, nicht im Allein-Vorsitz. Sie fürchtet mit dem auf ihn zugeschnittenen Satzungsentwurf sein autoritäres Gebaren. Wichtige Kompetenzen würden auf den Bundesvorstand und den Konvent konzentriert mit dem Ergebnis: mehr Einfluss für Funktionäre, weniger für die Parteibasis. Die Basis verliere auf programmatische Fragen an Einfluss, zumal die Partei ein endgültiges Programm erst noch zu beschließen habe. Satzungsänderungen und damit der demokratische Zugriff der Basis auf die Satzung würden erschwert bis unmöglich gemacht. Denn Begehren aus der Parteibasis für Satzungsänderungen werden künftig vorab eine Hürde zu überwinden haben: Mindestens ein Mitglied der Satzungskommission muss ihm zustimmen. Ist dazu keines willens, darf der Parteitag über das Begehren noch nicht einmal abstimmen.

Was der dritte Flügel Lucke anempfiehlt

Zwischen den beiden erstgenannten Flügeln bewegt sich die dritte Gruppierung. Man mag sie den gemäßigten, besonnenen Flügel nennen oder einfach die Mitte. Auch für sie ist Lucke unentbehrlich. Sie versucht, zwischen den beiden anderen zu vermitteln. Alle müssten daran mitwirken, den Parteitag in Bremen zum Erfolg werden zu lassen, auch wenn dort die unterschiedlichen Meinungen zunächst aufeinanderprallten. Lucke möge die Flügel zusammenführen, dürfe die Partei nicht spalten und damit ihren Bestand gefährden. Er möge einlenken, sich zur Versöhnlichkeit entschließen. Ehrenvoll würde er dann den Parteitag beenden, an Überzeugungsfähigkeit und Einfluss noch gewonnen haben, also sogar gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorgehen. Jener „Brandbrief“ vom Jahresbeginn aus dem Lager des zweiten Flügels baut ihm Brücken.

Aber was, wenn Lucke nicht will?

Doch wird befürchtet, dass Lucke das nicht will. Was dann? Würde er wirklich gehen? Die Partei fiele zurück, bestenfalls. Doch könnte es schlimmer kommen. Will er diese Last aufsichnehmen? Vom Mitgründer der Partei zu ihrem Mit-Totengräber werden? Durch Klugheit könnte er das verhindern. Alle drei Flügel stünden dann hinter ihm. Am 18. Januar bei seiner Kreisvorsitzenden-Konferenz in Frankfurt müsste er damit schon beginnen.

Ein Nachtrag: Wie ernst es für Lucke (weniger für seine Partei) steht, zeigt ein Beitrag von André Lichtschlag auf der Online-Seite des Monatsmagazins eigentümlich frei vom 4. Januar (hier).  

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PS. Wenn ich über die AfD schreibe, müssen Sie als Leser wissen, dass ich im März 2013 dieser Partei beigetreten bin – erstmals einer Partei überhaupt. Ich bin überzeugt, dass unser Land diese neue Partei dringend braucht, und möchte daran mitwirken, dass es gelingt. Ich glaube, dass ich innerhalb der Partei meine Vorstellungen von einer grundlegenden Politikwende zunächst besser zur Geltung bringen kann als außerhalb.

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4 Kommentare zu „Die mögliche Klugheit von Bernd Lucke“

  1. Lieber kpk,
    Auch ich bin überzeugt, dass unser Land diese neue Partei dringend braucht. Hoffentlich bedenken die Verantwortlichen das auch.
    Herzlich Ihr CDK

  2. Diese Partei ist eine Protestpartei gegen die Farben tragenden Blockparteien und aus der Empörung der 300 Professoren, entsprechend dem Kantischen Protest gegen den preußischen (aufgeklärten) Absolutismus in 1790, entstanden. Eine wesentlicher Grund der Parteigründung ist sicherlich die tragisch verunglückte Währungsreform, aber auch nicht unerheblich der schleichende Demokratieverlust in einer ohnehin nicht besonders ausgeprägten Demokratie wie dieser: Alle Staatsgewalt geht hier vom Volke aus (Art. 20 GG), kehrt aber nie mehr zum Volke zurück, wie Staatsrechtler Isensee bemängelt.
    Alle drei Gruppen in der Satzungsdiskussion haben gute Gründe, insbesondere, wenn sie auf basisdemokratische Verfahren verweisen. Es ist nur die Frage, ob die Basis weis, wie man politische Entscheidungen bewerten und treffen soll. Oft habe ich das Gefühl, die Deutschen seien seit 1848 in Punkto Verwaltung einer Demokratie noch nicht viel weiter gekommen. Das spricht zumindest in der ersten Zeit für eine starke und kompetente Führung und solche Leute gibt es in der Partei.

  3. Vermutungen sind nicht hilfreich, taugen zu nichts. Meinungen, gebildet aus Quellen die wiederrum nicht oder nur unzureichend informiert sind, bringen niemanden weiter. Das es Geduld benötigt, sachkundige Meinung zu haben erfordert den Parteitag in Bremen. Bis dahin ist/sind wie immer nur, wie sagt mann, Blasen in der Atmosphere.

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