Haben Sie das gelesen?

Konfliktstoff in der AfD – Vier ihrer Mitglieder stimmten im EU-Parlament gegen einen Parteitagsbeschluss

Die Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) hat in ihrer Online-Ausgabe am 19. August berichtet: „In der Alternative für Deutschland (AfD) gibt es Streit über die Rußlandpolitik der Partei. Der stellvertretende Bundesvorsitzende und brandenburgische Spitzenkandidat, Alexander Gauland, hat die Zustimmung von Europaabgeordneten der AfD, darunter auch Parteichef Bernd Lucke und AfD-Vize Hans-Olaf Henkel, zu einer rußlandkritischen Resolution scharf kritisiert. Diese hatten Mitte Juli im EU-Parlament einem Antrag zugestimmt, in dem die Verschärfung der Sanktionen gegen Rußland begrüßt und Moskau für die zunehmende Eskalation im Osten der Ukraine verantwortlich gemacht worden waren. Zudem wurde die Annexion der Krim durch Rußland als Verstoß gegen das Völkerrecht verurteilt. Lediglich Marcus Pretzell stimmte gegen den Antrag.“

Auch Henkel, Kölmel und Starbatty haben der Resolution zugestimmt

„’Über diesen Vorgang werden wir reden müssen. Ich halte die Abstimmung für völlig falsch und empfinde sie als sehr unloyal gegenüber der Parteibasis‘, sagte Gauland der Junge Freiheit. Auf dem Bundesparteitag in Erfurt sei eindeutig beschlossen worden, daß die AfD keinen Sanktionen gegen Rußland zustimmen werde, erinnerte der AfD-Vize.“ Der ganze Bericht hier.  Für diese Resolution des EU-Parlaments (deren Text hier) haben außer Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel auch die EU-Abgeordneten der AfD Bernd Kölmel und Joachim Starbatty gestimmt. Ulrike Trebesius hat sich der Stimme enthalten (ihre Begründung hier). Beatrix von Storch war bei der Abstimmung verhindert, weil sie zur gleichen Zeit vor einem Strafgericht als Zeugin geladen war. Auf Facebook hat sie erklärt, dass sie bei Anwesenheit „ganz klar ebenfalls mit Nein gestimmt“ hätte.

Nur Marcus Pretzell stimmte mit Nein

Nur Marcus Pretzell hat sich mit seiner Gegenstimme als einziger der sechs anwesenden AfD-Abgeordneten im EU-Parlament an den Beschluss des Erfurter AfD-Bundesparteitages gehalten. Das Abstimmungsergebnis hier. Pretzell habe sein Nein, wie die JF weiterberichtet, damit begründet, dass weitere Sanktionen die Lage nur unnötig verschärfen würden, und wörtlich geäußert: „Der Bundesparteitag der AfD hat dies eindeutig abgelehnt. An dieser richtigen Sichtweise hat sich nichts geändert, vielmehr zeigen die jüngsten Entwicklungen, wie richtig die Warnungen vor einem solchen eskalierenden Vorgehen waren.“ Die Bundesregierung habe es versäumt, durch eine vermittelnde Position in dem Konflikt, echte Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Pretzell ist in der AfD auch Mitglied des Bundesvorstands. Die Tatsache, dass jenes Abstimmungsverhalten erst jetzt öffentlich geworden und daraus deshalb auch erst jetzt der innerparteiliche Konfliktstoff entstanden ist, hängt vermutlich mit der allgemeinen Urlaubspause zusammen.

Deutliche Mehrheit des AfD-Parteitags gegen die antirussische Politik des Westens

Mit Bezug auf die JF hat das Handelsblatt über den Fall ebenfalls berichtet (hier). Die Online-Zeitung der Bürgerbewegung „Zivile Koalition“ Die Freie Welt hat das Thema ebenfalls aufgegriffen. Dort liest man: „Bei der Alternative für Deutschland (AfD) tobt derzeit ein heftiger Streit um die Rußland-Politik der Partei, die sich insbesondere am Verhalten des Parteivorsitzenden Bernd Lucke und seinem Vize Hans-Olaf Henkel entzündeten. Es gibt zunehmend aus der Basis Rücktrittsforderungen gegen seine Person. Sie werfen dem 52-jährigen Verrat an den Beschlüssen des Erfurter Parteitages vom 8. April 2014 vor. Dort gab es mit deutlicher Mehrheit einen Beschluß gegen eine antirussische Politik des Westens. Dieser lautete: »In dieser instabilen Lage ist es von größter Bedeutung, keine Sanktionen zu verhängen und keine weiteren Maßnahmen der Eingliederung der Ukraine oder Teilen davon in die EU oder in die Russische Föderation zu betreiben.“ Die entsprechende Rede von Parteivize Alexander Gauland habe bei den Delegierten des Parteitages für tosenden Applaus gesorgt.“ (Der ganze Bericht hier).

Kritik aus der Parteibasis vor allem gegen Bernd Lucke

Gauland hat, wie es dem JF-Bericht ebenfalls zu entnehmen ist, eingeräumt, er sei durchaus ein Freund des freien Mandats, doch müssten die Verantwortlichen dann wenigstens die Partei vorher informieren, wenn ihr Gewissen Beschlüssen der Basis entgegenstehe. „Ohne Diskussion, quasi von hinten durch die Brust geschossen, mag ich nicht. Auch nicht von Parteifreunden“. Gauland warnte davor, dass es in der Zukunft zu ähnlichen Situationen kommen könnte. In der Freien Welt heißt es: „Bei Parteibasis und Wählerschaft der AfD ist die Empörung über Lucke groß, wie man auch auf den Facebookseiten von AfD und Lucke anhand hunderter Postings sehen kann. Diverse werfen ihm dort Verrat und die Zerstörung der AfD vor, sprechen vom »Anfang vom Ende der AfD«, bemängeln »fehlenden Mut zur Wahrheit« und daß die »AfD so beliebig geworden sei, wie die anderen Parteien«. Es gibt mehrere Rücktrittsforderungen gegen Lucke und Henkel. Manche drohen enttäuscht auch damit, die AfD nicht mehr zu wählen.“ Siehe hierzu auch die vielen Kommentare am Ende des Freie-Welt-Beitrags.

Henkel: Habe nur Sanktionen gegen „korrupte Personen“ zugestimmt

Auch die FAZ berichtete, bezog sich dabei auf die Junge Freiheit und ergänzte den JF-Bericht so: „Henkel sagte dieser Zeitung, es sei ihm ‚leichtgefallen‘, für die Sanktionen zu stimmen, weil es nicht um Wirtschaftssanktionen, sondern um Maßnahmen gegen ‚korrupte Personen‘ im Umfeld des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegangen sei. Es gebe keinen Grund, diese Personen nicht ‚in Mithaftung für Völkerrechts- und Menschenrechtsverletzungen zu nehmen‘. Zudem habe sich seit dem Parteitagsbeschluss in der Ukraine ‚viel getan‘, was auch den Russland-Freunden in seiner Partei nicht entgangen sein könne. Von dem ‚Abschießen von Flugzeugen und dem Rüberschicken von schweren Waffen war damals keine Rede‘. Er, Henkel, sei außerdem ’sehr stolz‘ darauf, dass unter den AfD-Abgeordneten kein Fraktionszwang herrsche.“

Gauland: Mit der AfD Sachsen und Thüringen in der Kritik einig

Der FAZ-Bericht weiter: „Gauland entgegnete im Gespräch mit dieser Zeitung, das Votum der Abgeordneten sei dennoch ein klarer Verstoß gegen den Parteitagsbeschluss.  ‚Wir haben gesagt: keine Sanktionen‘, sagte Gauland. Eine Abweichung von dieser Position sei ihm als stellvertretendem Parteivorsitzenden nicht bekannt gewesen. Nach dem Flugzeugabsturz in der Ostukraine habe er gemeinsam mit Lucke eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der beide vor einer ‚Vorverurteilung‘ Russlands warnten. Er habe eine ‚hohe Achtung“’vor dem freien Mandat der Abgeordneten. Aber es sei ’nie gut für eine Partei, wenn der eine das und der andere etwas anderes sagt‘, äußerte Gauland. Gerade in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo die AfD auf einen Einzug in die Landtage hoffe, würden Sanktionen gegen Russland von Teilen der Bevölkerung kritisch gesehen, sagte Gauland. Er sei sich deshalb mit den AfD-Landesvorsitzenden von Sachsen und Thüringen, Frauke Petry und Björn Höcke, einig darin, das Abstimmungsverhalten der AfD-Abgeordneten zu kritisieren.“

Unmut breitet sich auch sonst schon aus

In der Parteibasis braut sich Unmut über den AfD-Bundesvorstand ohnehin schon zusammen. Er richtet sich gegen dessen zunehmend autoritäres Gebaren, gegen dessen Vorgehensweise und vorgeschlagene Organisationsstruktur für die Programmarbeit, gegen die überfallartige Umstrukturierung der Fachausschüsse sowie gegen die diesbezüglichen Geschäftsordnungen. Zielscheibe ist auch hier vor allem Bernd Lucke als einer der drei Parteisprecher.

Nachtrag vom 22. August: Die Stellungnahme von Bernd Lucke

Inzwischen liegt eine Stellungnahme von Bernd Lucke vor. In ihr heißt es unter anderem: „Zu der Diskussion um die Ukraine-Resolution des Europäischen Parlaments möchte ich bemerken, dass ich uneingeschränkt hinter dem Erfurter Parteitagsbeschluss und dem Beschluss des Bundesvorstands vom 8.4.2014 (Anlage) stehe. Insbesondere halte ich Wirtschaftssanktionen gegen Russland auch in der jetzigen Lage für kontraproduktiv und konflikteskalierend. Gleichwohl müssen die Staaten der Europäischen Union angemessen reagieren können, wenn der Konflikt etwa durch eine militärische Intervention Russlands in der Ostukraine zu einem offenen Krieg würde. Ein solcher Schritt Russlands stünde im klaren Widerspruch zum Erfurter Beschluss der AfD. Ich halte es für richtig, für diesen Fall Sanktionen vorzubereiten und abhängig von der konkreten Lage auch zu verhängen. Es trifft im übrigen nicht zu, dass die Resolution des Europäischen Parlaments die Verhängung von Wirtschaftssanktionen gefordert hat. In Ziffer 12 der Resolution wird vielmehr nur die Vorbereitung von Sanktionen befürwortet, während “weitreichende Konsequenzen” (sprich: die Verhängung von Wirtschaftssanktionen) ausdrücklich auf den Fall bezogen werden, dass Russland weitere Schritte zur Destabilisierung der Ukraine unternimmt. Auch Ziffer 13 billigt Sanktionen nur dann, “wenn die Situation dies erfordert”, was aus dem Textzusammenhang heraus dann der Fall wäre, wenn Russland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht nachkäme.“ Die ganze Stellungnahme hier.

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PS. Wenn ich über die AfD berichte, müssen Sie als Leser wissen, dass ich im März 2013 dieser Partei beigetreten bin – erstmals einer Partei überhaupt. Ich bin überzeugt, dass unser Land eine neue Partei dringend braucht, und möchte daran mitwirken, dass es mit der AfD gelingt. Ich glaube, dass ich innerhalb der Partei meine Vorstellungen von einer grundlegenden Politikwende zunächst besser zur Geltung bringen kann als außerhalb, jedenfalls vorerst. Ich will also, dass diese Partei in den Bundestag kommt. Neutral bin ich demnach nicht, wohl aber unabhängig und um Objektivität bemüht. Das Urteil darüber muss ich dem Leser überlassen. Ein Amt in der Partei habe ich nicht übernommen, gehöre aber dem bisherigen AfD-Bundesfachausschuss für Energie und dem bisherigen schleswig-holsteinischen Landesfachausschuss für Energie an. Diese und alle anderen Fachausschüsse will der Bundesvorstand auflösen und durch neue ersetzen. Die neuen Ausschüsse sollen nicht mehr nur für ein einziges Sachgebiet zuständig sein (zum Beispiel Energiepolitik), sondern für ein ganzes Bündel von Sachgebieten (zum Beispiel Wirtschafts-, Technologie-, Infrastruktur- und Energiepolitik). Auf gleiche Weise sollen die Landesverbände mit ihren eigenen Ausschüssen verfahren. Ich selbst halte das für verfehlt.

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Ein Kommentar zu „Haben Sie das gelesen?“

  1. Das sieht schwer nach Anfang vom Ende aus.

    Erinnern wir uns: Aus einer Reihe von Unsäglichkeiten der Politik (Zensursula) entlud sich vor 5 Jahren ein Empörungsgewitter, das in die Gründung der Piratenpartei mündete- eine damals absolut offene Partei, die alles öffentlich in ihren Foren austrug, durchaus auch Ältere ansprach und vor allem eins war: Radikale Opposition gegenüber dem politisch korrekten Mainstream. Wie die Sache ausging, ist bekannt: Nach spektakulären Stimmengewinnen ruckzuck geentert von Feministinnen, Antifa und grüner Partei und jetzt versenkt. So in etwa lief es auch bei den Grünen Jahre früher und wenn es damals ein Internet gegeben hätte- wer weiß, schnell wäre die ‚feindliche Übernahme‘ durch radikale Kommunisten bekannt geworden und die Partei von ihren Unterstützern rechtzeitig beerdigt.

    Es ist die größer werdende Wut in der Bevölkerung gewesen, die die AfD beim Namen nahm und diese als Partei einen unglaublichen Start hinlegte, wenn auch die Bundesquatschbudenwahl noch vergeigt wurde. M.E. ist aber die Erosion unübersehbar- weg von einer freiheitlichen Alternative hin zur einer Art konservativem CDU- Verschnitt, den gerade Intellektuelle keinesfalls wollen und es ist Lucke, der dieses zum Gähnen langweilige, völlig avitale Element der CDU verkörpert, denn ‚richtig‘ konservativ sind sie auch nicht.
    Wer eher libertär drauf ist und die After- FDP abgeschrieben hat, sieht sich schlicht und ergreifend betrogen durch diese Unsäglichkeit, ins Russenbashing der Mainstreamer einzustimmen, zumal Belege über handfeste Intervention gänzlich fehlen, die Geschichte MH17 selbst für Hartgesottene zum Himmel stinkt und die Annektion der Krim eine Petitesse gegen die massive Einmischung im Jugoslawienkrieg und anderswo ist mit den bekannten, katastrophalen Folgen.
    Hinzu kommt, daß die Rolle der USA als Büttel einer hauchdünnen, verbrecherischen Finanzelite mit ihrem Traum von der NWO bei niemand so recht auf Begeisterung stoßen kann- gerade die AfD mit ihrer Wirtschaftskompetenz müßte es eigentlich am Besten wissen, welches Schurkenstück da gegeben wird.

    Ich bin alles andere als ein Putinfreund. Russland jedoch auszuschließen wie einen Paria und damit die Hinwendung nach China geradezu erzwingend, hirnlos den Kommandos aus USA zu folgen ( die selbstredend die ersten Boykottbrecher sind mit dem weiterlaufenlassen ihrer Joint Ventures in der Arktis und der Raumfahrt) selbst unter schmerzlichsten Konsequenzen (kein westliches Land ist derart stark in Russland engagiert wie D) und statt dessen den Zahlonkel zu geben für die unsäglichen Kleptokraten und Hassardeure der Kiewer Junta, die ihre Faschisten in keiner Weise im Griff haben
    http://konjunktion.info/2014/08/ukraine-es-ist-ganz-einfach-man-muss-15-millionen-menschen-im-donbass-toeten/
    zeugt nur noch von grenzenloser Dummheit.

    Die AfD kann jetzt nur noch Fehler machen, offensichtlich ist die geistige Kapazität ihrer Führungsmannschaft doch himmelweit überschätzt worden.
    Ich indes haben sie wie viele Liberale bereits abgeschrieben.

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