Nicht vergessen

Als Egon Bahr 1989 das Gerede von der Wiedervereinigung „politische Umweltverschmutzung“ nannte – Törichte einstige Politiker-Äußerungen, die nun den Tag der Deutschen Einheit sogar verschönern helfen

An diesem 3. Oktober ist wie alljährlich Deutschlands Nationalfeiertag, genannt „Tag der Deutschen Einheit“. Es werden viele bewegende und pathetische Reden gehalten, es wird gefeiert, es geht hoch her, vor allem im diesjährigen zentralen Ort der Feierlichkeiten: in Baden-Württembergs Landeshauptstadt Stuttgart.1)  Aber die Bundeshauptstadt Berlin macht ebenfalls mit, hier findet ein „Fest zum Tag der Deutschen Einheit“ statt.2)  Doch so schön das große politische Ereignis vor 23 Jahren war und noch immer ist, die bewegenden Reden unterlassen gern, dass den politischen Parteien in der Bundesrepublik die Vereinigung beider deutscher Teilstaaten schon lange kein Herzensbedürfnis mehr war, sie hatten sich mit der Trennung abgefunden, sich mit ihr eingerichtet, auch CDU und FDP. Aber das wird gern vergessen.

Was wer einst sagte

Erst der Aufstand der deutschen Bürger in der DDR, ihre friedlichen Demonstrationen, haben die Dinge ins Rollen gebracht und die Parteien überrollt, unterstützt durch die politische Großwetterlage (Gorbatschow in der Sowjetunion, Bush sen. in den Vereinigten Staaten) und durch den wirtschaftlichen Ruin der DDR. Doch in der Ablehnung der Wiedervereinigung besonders hervorgetan haben sich Politiker der SPD, auch Joseph Martin Fischer von den Grünen. Rot-Grün wollte die Wiedervereinigung nicht. Ihr Widerstand dagegen fand statt bis kurz vor dem „Mauerfall“ am 9. November 19893), teils auch noch danach. Das zeigen die folgenden Zitate4) einer beachtlichen Politiker-Riege. Sie werden Sie bei den Festreden heute garantiert nicht hören.

 „Hochgradig gefährlich“

Gerhard Schröder, der spätere Bundeskanzler, erklärte im September 1989: „Eine auf Wiedervereinigung gerichtete Politik ist reaktionär und hochgradig gefährlich.“ Kurz darauf wurde er durch SPD-Vorstand und Bundestagsfraktion bestätigt, lehnten diese doch ebenfalls das „leichtfertige und illusionäre Wiedervereinigungsgerede“ ab.

 „Historischer Schwachsinn“

Oskar Lafontaine sagte als stellvertretender SPD-Vorsitzender am 18. Dezember 1989 beim Parteitag in Berlin: „Wiedervereinigung? Welch historischer Schwachsinn!“

„Kein Zukunftsmodell“

Johannes Rau, der spätere Bundespräsident, äußerte am 18. November 1989 in der Süddeutschen Zeitung: „Wiedervereinigung ist die Rückkehr zum Alten. Jetzt aber wird ein Zukunftsmodell gebraucht.“

 „Unterminierendes Wiedervereinigungsgetöse“

Hans Eichel, der spätere Bundesfinanzminister, im November 1989: „Zusätzlich unterminiert das Wiedervereinigungsgetöse alle Ansätze einer vernünftigen deutsch-deutschen Politik.“

 „Die DDR wird genauso lange existieren wie die Bundesrepublik“

Klaus Bölling, Helmut Schmidts ehemaliger Regierungssprecher, befand: „Bei einer Wiedervereinigung wären die Deutschen bald wieder zum Fürchten. Die DDR wird genauso lange existieren wie die Bundesrepublik.“

 „Lebenslüge“

Willy Brandt als SPD-Vorsitzender am 15. September 1989 in der Frankfurter Rundschau: „Die Hoffnung auf Wiedervereinigung wird gerade zur Lebenslüge der Zweiten Republik.“

 „Aufhören, von der Einheit zu träumen“

Egon Bahr nur acht Tage vor dem Mauerfall: „Lasst uns um alles in der Welt aufhören, von der Einheit zu träumen oder zu schwätzen.“ Und als Mitglied des SPD-Präsidiums am 13. Dezember 1989: „Unerträglich wäre Sonntagsrederei, wonach die Wiedervereinigung vordringlichste Aufgabe bleibt. Das ist Lüge, Heuchelei, die vergiftet, und politische Umweltverschmutzung.“

 „Ein Unglück für das deutsche Volk“

 Joseph Martin Fischer sagte als Fraktionsvorsitzender der Grünen im hessischen Landtag in einem Interview mit der Illustrierten Die Bunte vom 27. Juli 1989: „Ein wiedervereinigtes Deutschland wäre für unsere Nachbarn nicht akzeptabel. Das Wiedervereinigungsgebot im Grundgesetz wäre in seiner Konsequenz ein Unglück für das deutsche Volk. Ich kann mir nicht vorstellen, welchen Vorteil die Deutschen von einer Wiedervereinigung hätten.“5)  Apropos Die Grünen. Im Mai 1990 haben viele von Ihnen gegen die Wiedervereinigung öffentlich demonstriert: https://kpkrause.de/wp-content/DieGrünen-Demo-gegen-dt.-Einheit-Mai-1990.jpg

 „Eine große Gefahr für Europa“

Gregor Gysi, ehemaliger Vorsitzender der ehemaligen PDS (heute Die Linke) wollte die Vereinigung Deutschlands verhindern. Gysi sagte am 10. Dezember 1989 vor dem Vize-ZK-Sekretär der KPdSU Raffael Fjordorow, die  Beseitigung der innerdeutschen Grenze „sei eine große Gefahr für die Stabilität auf dem europäischen Kontinent“. Gysi malte ein Schreckgespenst an die Wand: „ Man muss befürchten, dass das deutsche Monopolkapital nicht an der Oder/Neiße-Grenze haltmachen wird.“ Schon als die Volkskammerwahlen im März 1990 eindeutig den Willen der DDR-Deutschen nach der Wiedervereinigung demonstriert hatten, ermunterte Gysi den damaligen sowjetischen ZK-Sekretär Valentin Falin am 18. März 1990 zu einem gewaltsamen Vorgehen: „Wenn die Sowjetunion in der DDR zu einer militärischen Lösung greife,“ so Gysi, „würden die USA und die anderen Westmächte nichts dagegen tun.“

Die Wirklichkeit ist über diese Äußerungen hinweggegangen

Sie alle stellten sich als große Politiker dar. Alle ihre Äußerungen trugen sie vor mit Inbrunst und offensichtlicher Überzeugung. Doch diese erwiesen sich als hohl und unglaublich töricht. Die Wirklichkeit ging binnen kurzem über sie hinweg und machte sie lächerlich. Aber es sind Äußerungen, die im Nachhinein den Tag der Deutschen Einheit noch verschönern helfen.6)

__________________________________________________

1) Näheres hier: http://www.stuttgart.de/item/show/408026/1/event/126120?  Und hier das Programm im Einzelnen: http://www.stuttgart.de/item/show/515946/1

2) Näheres hier: http://www.visitberlin.de/de/event/06-10-2013/fest-zum-tag-der-deutschen-einheit

3) Ursprünglich war dieser Tag des „Mauerfalls“ als Nationalfeiertag in der Diskussion. Wegen der Datumsgleichheit mit der sogenannten Reichsprogromnacht der Nationalsozialisten vom 9. November 1938 wurde dieses Datum als ungeeignet verworfen. Artikel 2 des  Vertrages zur deutschen Einheit erklärte dann den 3. Oktober als „Tag der Deutschen Einheit“ zum Nationalfeiertag. An diesem Tag ist die DDR offiziell in die Bundesrepublik Deutschland eingegliedert worden. Zuvor war über den Beitrittstermin diskutiert worden. Das Bundeskabinett hatte beschlossen: „Der Bundesregierung erscheint jeder Beitrittstermin sinnvoll, der nach dem 2. Oktober liegt.“ Festgelegt hatte ihn dann die (erste und letzte frei gewählte) Volkskammer der Noch-DDR auf einer von DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière beantragten Sondersitzung am 22. August 1989. Die Debatte verlief hitzig und zog sich bis über Mitternacht hin. Das Abstimmungsergebnis lautete: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“

4) Quelle: http://deutschlandwoche.de.dd25630.kasserver.com/wp-content/uploads/2013/02/Die-SPD-und-die-Wiedervereinigung1.pdf  und   http://www.deutsche-landwirte.de/090402e.htm

5) Es ist schwervorstellbar, dass Fischer so hellsichtig war, um mit dieser Äußerung die heutigen Folgen der Euro-Währungsunion zum Schaden Deutschlands im Auge gehabt zu haben, der Euro-Währungsunion, der Deutschland nur zugestimmt hatte, um mit ihr vor allem Frankreichs Zustimmung zur Vereinigung beider deutschen Teilstaaten zu erkaufen. Vorstellbar ist jedoch, dass er heute vielleicht sagt, ebenso habe er es gemeint.

6) Mein Freund Sebastian Maisfelder schrieb zu den Äußerungen: „Wer die Zeit vor 1989 nicht bewusst miterlebt hat, wird in der Schule oder in linken Medien möglicherweise Fehlinformationen dazu erhalten haben, wer vor dem Fall der Mauer für oder gegen die Deutsche Einheit war. Denn angesichts von so vielen ‚Vätern und Architekten der Deutschen Einheit’, die es schon immer gewusst hatten, müssen einige Fakten zurechtgerückt werden. Diese Äußerungen bitte an alle Schüler und Studenten weitergeben, die keine Erinnerung an ‚1989’ haben. Und an die älteren Bürger, bei denen die Erinnerung nach mehr als zwanzig Jahren zu verblassen droht.“

_____________________________________

Rechtlicher Hinweis: Für alle meine Beiträge in diesem Blog liegt das Copyright bei mir. Sie zu vervielfältigen oder sie kommerziell zu nutzen, ist nur nach Absprache mit mir erlaubt. Ein Quellenhinweis sollte dann selbstverständlich sein.  Haftungsausschluss / Disclaimer  siehe hier: https://kpkrause.de/2008/03/18/begrusung/

Print

Ein Kommentar zu „Nicht vergessen“

  1. Freitag.10 November 1989 LOKALES/ANZEIGE Seite 5
    Wird im Isenhagener Kreisblatt ein Bericht gedruckt.
    Anlass war:Ich bin von Wittingen zur Geburtstagsfeier bei Bergen/Dumme über die Grenze nach Salzwedel gefahren.Dort hörte ich vom der dortigen Demonstrationsabsicht.Was ich dann erlebte, habe ich unserer Zeitung nach der Rückkehr mitgeteilt und auch die ganzen, von mir gemachten Aufnahmen der Demonstration in Farbe.Unter meinem Bericht, den ich dem Redakteur des „IK“ J.Hoffmann gab, habe ich den Satz von Egon Bahr-das dumme Gerede von der Wiedervereinigung gesetzt.Aber diese Bemerkung hat der SPD-Mann Hoffmann nicht hinzugefügt.Nach 25 Jahren nicht vergessen. Wolfgang Thoms

Schreibe einen Kommentar