Die Schweiz unterliegt ihm. Wo aber bleibt gegenüber dieser Souveränitätsverletzung die Empörung?
Ist denn keiner darüber empört, dass andere Staaten die Schweiz zwingen, sich einer fremden Steuerpolitik zu beugen, die nicht die ihre ist? Will keiner wahrhaben, dass hier schwere Souveränitätsverletzungen begangen werden? Oder sind es etwa keine, wenn die USA den kleinen Staat Schweiz mit Strafandrohungen nötigen, in der Schweiz amerikanische Gesetze exekutieren zu helfen? Gerade wurde bekannt, dass die Schweizer Regierung dem massiven politischen Druck der amerikanischen Regierung hat nachgeben müssen und eine „gemeinsame Erklärung“ in Sachen Steuerflucht amerikanischer Bürger unterzeichnet hat. Das macht es der amerikanischen Steuerbehörde IRS (Internal Revenue Service) möglich, jene Amerikaner, die Schweizer Konten haben und daher der Steuerflucht verdächtig sind, aufzuspüren.
Für die Schweiz demütigend
Ein Gesetz dazu („Lex USA“) hatte der Nationalrat, das Schweizer Parlament, aus guten Gründen abgelehnt, nun haben die beiden Regierungen unter sich ein Abkommen geschlossen.*) Die Schweizer Regierung setzt sich damit über ihr Parlament hinweg, doch sieht es nicht danach aus, dass sich das Parlament dagegen auflehnt, weil es Amerikas Drohungen und Übermacht ebenso fürchtet wie die Regierung. Und ist es nicht demütigend, wenn die Finanzministerin der Schweiz glaubt, äußern zu müssen „Es ist ein Resultat, mit dem wir leben können.“? Die Vereinbarung ist das Ergebnis einer schon drei Jahre dauernden Auseinandersetzung und nichts anderes als ein amerikanisches Diktat. Die Vereinigten Staaten sind Weltmacht wie einst der Hegemon Rom in der Antike, die Schweiz ist ein Kleinstaat. Was sich Amerika herausnimmt, würde sich die kleine Schweiz nicht leisten können. Quod licet Jovi, non licet bovi. Was Jupiter darf, darf das Rind noch lange nicht.
Umfangreiche Daten abliefern und hohe Geldbußen zahlen
Die Schweizer Banken können sich dem Abkommen so gut wie nicht entziehen. Es verpflichtet sie, wie die FAZ berichtet, „alle Unterlagen über verdächtige Konten auszuliefern. Dazu gehören auch die Namen eigener Mitarbeiter in der Kundenbetreuung sowie von Dritten, also von Treuhändern, externen Vermögensverwaltern und Anwälten. Hinzu kommen sogenannte Abschleicherlisten, die zeigen, wohin Guthaben seit August 2008 geflossen sind“. Aber damit nicht genug: „Neben der Datenlieferung müssen die Schweizer Banken Geldbußen auf die unversteuerten Vermögen zahlen. Sie schwanken zwischen 20 und 50 Prozent der Vermögen – je nachdem, wie lange die Konten bestanden. Erster Stichtag ist der 1. August 2008.“
Die für Plünderstaaten missliebigen Konkurrenten
Den sogenannten Steueroasen, die Zuflucht vor aggressiver Besteuerung bieten, geht es schon länger an den Kragen, auch von anderen Staaten. Vor allem Frankreich und Deutschland üben politischen Druck aus. Ebenso die EU-Kommission und die G-20-Staaten. Gegen solche geballte Macht ist schwer ankommen. Länder, die von der Besteuerung und den privaten Rechten ihrer Einwohner andere, nämlich freiheitliche Vorstellungen haben, sind für diese geballte Staatenmacht missliebige Konkurrenten. Länder, die ihre Einwohner fiskalisch nicht ausplündern, sondern nur gemäßigt besteuern und die Privatheit von Bankkonten schützen, sind den Plünderstaaten ein Dorn im Auge. Außerdem machen sie diesen Staaten Geschäfte mit Finanzanlagen und Vermögensverwaltung abspenstig. Mäßige Besteuerung, genannt Steueroase, und die Privatheit von Bankkonten, genannt Bankgeheimnis, nutzen sie als Wettbewerbsvorteil. Die von immer höheren Steuerlasten ihrer Heimatländer Geplagten und Erschöpften nutzen ihn. Wenn ein Staat seine Bürger fiskalisch mehr und mehr ausbeutet, ist ein Ausweichen der Bürger in ein fiskalisch freieres Land eine zwangsläufige Folge, jedenfalls für jene, die dazu imstande sind.
Steueroasen eine Folge von Steuerwüsten
Zu diesem Thema geschrieben habe ich schon einmal (209) und wiederhole es: Steueroasen haben die gleiche Ursache wie Schwarzarbeit: die Besteuerung, die als zu hoch und nicht (mehr) als angemessen empfunden wird. Der Unterschied zwischen beiden ist: Steueroasen bieten Fluchtmöglichkeit vor Besteuerung außerhalb des Heimatlandes, Schwarzarbeit bietet sie innerhalb des Heimatlandes. Steueroasen wie Schwarzarbeit sind gleichsam Widerstandsnester gegen staatliche Ausbeutung. Von Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein gibt es die Äußerung „Steueroasen können nur entstehen, wenn es Steuerwüsten gibt.“
Steuerverschwendung ebenso streng bestrafen wie Steuerhinterziehung
Bürgerlicher Widerstand gegen zu hohe Besteuerung ist legitim, nur ist er, wenn dabei gegen bestehende Gesetze verstoßen wird, nicht legal. Der Widerstand muss sich also, um legitim zu bleiben, gegen die Gesetze und die Gesetzgeber richten. Doch richtet er in den Plünderstaaten bisher nichts aus. Daher flüchten Widerständler in Steueroasen und Schwarzarbeit. Sie tun es auch in dem Wissen, dass der Staat mit dem Steuergeld der Bürger nicht sorgfältig genug und zu verschwenderisch umgeht; Rechnungshöfe fördern das alljährlich zutage, wenngleich immer nur teilweise. Die Dunkelziffer ist groß. Steuergeldverschwendung muss ebenso streng geahndet und bestraft werden wie Steuergeldhinterziehung. Warum wohl geschieht das nicht?
Minderheiten hatten es schon immer schwer
Eine weitere Rechtfertigung sehen die Widerständler darin, dass der Staat in immer mehr Bereiche vorgedrungen ist, die über seine eigentlichen Aufgaben wie innere und äußere Sicherheit, Rechtsetzung und Rechtsprechung, öffentliche Infrastruktur weit hinausgehen. Er hat Aufgaben an sich gerissen, die in die Eigenverantwortung der Bürger gehören und deren Privatangelegenheit sein müssen. Dazu zählen zum Beispiel die sogenannten Sozialversicherungen und das Gesundheitswesen. Der Staatsapparat ist daher unnötig aufgebläht. Doch lehnt sich immer nur eine Minderheit dagegen auf. Zu dieser Minderheit gehören jene, die ihr Geld vor so einem Staat in Sicherheit bringen wollen und mit ihm in Steueroasen entweichen. Minderheiten lassen sich, weil unter Beifall der Mehrheit, moralisch unbeschwerter verfolgen. Steuerflüchtige wissen, dass sie als Aussätzige gelten. Minderheiten hatten es schon immer schwer.
Steueroasen sind nötig, damit es Plünderstaaten nicht übertreiben
Steueroasen bieten vor zu starker fiskalischer Verfolgung Schutz. Sie sind ein Bestandteil des Systemwettbewerbs unter Staaten. Sie sind notwendig, damit Plünderstaaten es nicht übertreiben. Solchen Wettbewerb mögen Plünderstaaten nicht. Er macht den Ausbeutungsvorwurf öffentlich. Er entzieht jene, die den Wettbewerb nutzen, dem staatlichen Monopolanspruch. Er ist ein Stachel im staatlichen Fleisch. Daher wollen Plünderstaaten den Systemwettbewerb ausschalten, daher bekämpfen sie ihn. Unbotmäßigen Staaten drohen Sanktionen. Der gegenwärtige SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück hatte 2009 sogar die Dreistigkeit zu behaupten, durch Steuerhinterziehung werde die Souveränität Deutschlands beeinträchtigt.
Steueroasen sind ein Teil notwendiger Vielfalt
Auch die Europäische Union ist zu einem Gebilde geworden, das den Systemwettbewerb der EU-Mitglieder untereinander immer mehr beseitigt. Schönfärberisch nennt sie die Ausschaltung dieses Wettbewerbs und die daraus folgende Gleichmacherei „Harmonisierung“. Wer Wettbewerb ausschaltet und vereinheitlicht, ist ein Kartell. Tun das Unternehmen, werden sie bestraft. Aber staatliche Kartelle sind, weil gesetzlich verankert, gefährlicher. Trotzdem gibt es Strafen dafür nicht. Vereinheitlichen ist nur dort sinnvoll, wo es den Wettbewerb fördert (Beispiel: technische Normierungen). Wenn Vereinheitlichen ihn auszuschalten droht, muss der Erhalt der Vielfalt verteidigt werden. Steueroasen außer- und innerhalb der EU sind ein Teil solcher notwendigen Vielfalt. Fallen sie, werden die Plünderstaaten steuerlich noch ungenierter auf ihre Bürger zugreifen.
Warum wohl bringen die Schweizer ihr Geld nicht weg?
Der Journalist Ronald Gläser schrieb im April**): „Der Fehler liegt im System. Wer sich mit dem Phänomen Steuerflucht beschäftigt, sollte sich mit den wahren Ursachen befassen. Sie liegen auf der Hand: Zum einen ist es ganz normal, daß Bürger versuchen, die Zahlung von Steuern zu vermeiden. Wer das noch nie versucht hat, der lebt vermutlich von ihnen. … Es ist die natürlichste Sache der Welt, daß Bürger Steuern sparen wollen. Das wichtigste aber ist Vertrauen. Wenn die Bürger Vertrauen in die Redlichkeit der Politiker haben, dann bringen sie ihr Geld nicht fort. Warum wohl bringen Schweizer ihr Geld nicht in andere Staaten? Auch die Schweiz ist kein steuerfreies El Dorado. Dennoch haben die Bürger trotz hoher Steuern das Gefühl, daß es in diesem kleinen Land sauberer zugeht als anderswo. Daran sollten sich unsere Politiker ein Beispiel nehmen …“
Durchaus ehrlich, durchaus rühmlich
Zu ihrem Bericht über die der Schweiz abgezwungene Vereinbarung liefert die FAZ zwei kurze Kommentare, der eine im politischen Teil des Blattes, der andere im wirtschaftlichen. Im ersten heißt es, die Schweizer Behauptung, das von ihr hochgehaltene Bankgeheimnis sei ein Unterpfand der Bürgerfreiheit, habe immer etwas Unehrliches gehabt, weil die Schweiz gewusst habe, dass Ausländer Schweizer Banken als sicheren Hafen für unversteuertes Geld nutzten. Aber wieso unehrlich? Im zweiten Kommentier liest man: „Die Schweizer Geldhäuser bereinigen ihre unrühmliche Vergangenheit als verschwiegene Zuflucht amerikanischer Steuersünder.“ Aber wieso unrühmlich? Die Schweiz hat Systemwettbewerb gemacht, durchaus ehrlich, durchaus rühmlich. Gewiss, an die Gesetze ihres eigenen Landes müssen die Bürger sich halten. An die Gesetze eines fremden Landes müssen sich Bürger, wenn sie sich dort aufhalten, ebenfalls halten. Aber kein Land muss sich an die Gesetze eines anderen Landes halten, und kein Land darf seine eigenen Gesetze einem anderen Land aufzwingen. Aber die Vereinigten Staaten setzen sich aus eigener Machtvollkommenheit darüber hinweg. Nicht sie allein, aber sie allein besonders.
*) FAZ vom 31. August 2013:
**) In: Berliner Wochenzeitung Junge Freiheit vom 26. April 2013.