100 Prozent Ökostrom – ganz exklusiv / Die Deutsche Bahn bietet ihn an und biedert sich an / Die Klimaschutzpolitik treibt immer seltsamere Blüten
Haben Sie eine BahnCard? Ja? Dann müssten Sie sich eigentlich schwer in Acht nehmen. Denn diese Kunden befördert die Deutsche Bahn seit dem 1. April zu 100 Prozent mittels ziemlich unsicheren „Ökostroms“. Ganz ohne Aufpreis. Exklusiv nur für diese Kunden. Und darüber sollen die sich ganz doll freuen. Sie wissen doch: „Ökostrom“ – das ist vor allem der aus Windkraft und Sonnenlicht. Auch etwas Strom aus „Biogas“ und Wasserkraft gehört noch dazu. Wenn das man gut geht.
Für Stammkunden und Vielfahrer ein „besonderes“ Angebot
Was die Bahn da betreibt, ist kein April-Scherz, kein Witz, keine Satire. Wir lesen: „Gemeinsam mit unseren Kunden möchten wir einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz und zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien leisten … Ab 01.04.2013 setzt die Deutsche Bahn einen Meilenstein in Sachen Klimaschutz und bietet ihren Stammkunden und Vielfahrern ein besonderes Angebot. Rund fünf Millionen BahnCard- und Streckenzeitkartenkunden fahren dann ohne Aufpreis in Fernverkehrszügen (ICE- und IC/EC-Züge) innerhalb Deutschlands mit 100 % Ökostrom. Die Kosten für den zusätzlich eingekauften Ökostrom übernimmt die Deutsche Bahn.“ Ach, ist das fein. Und es klingt, als wolle die Bahn ihren Kunden für das „besondere Angebot“ sogar noch Dankbarkeit abnötigen – selbst denen, die den teuren, unsozialen „Ökostrom“ ablehnen und den Klimaschutz inzwischen als Riesenbetrug erkannt haben.
Was einem da so durch den Kopf geht
Die Bahn präsentiert den Kunden, die solche Bahncards und Streckenzeitkarten erworben haben, den „Ökostrom“ als Exklusivrecht: Sie und nur sie dürfen es genießen, mit diesem Wunderstrom transportiert zu werden. Manchen von ihnen mag das sogar recht, den meisten sicher völlig egal sein. Aber was ist mit all den anderen Reisenden im gleichen Zug, die solche schönen Karten nicht haben, sondern nur Einzelfahrscheine? Da geht einem doch so einiges durch den Kopf. Mit welchem Strom fahren denn die? Anspruch auf „Ökostrom“ haben sie jedenfalls nicht. Also ist da offenbar noch anderer Strom in der Oberleitung.
Gutes Gewissen kaufen? Die Bahn macht’s für 1 Euro
Es könnte nämlich sein, dass die Bahn ein bisher unbekanntes Patent nutzt, wonach es die gleiche Oberleitung vermag, Strom unterschiedlicher Herkunft gleichzeitig bereitzustellen: für die Karteninhaber blitzsauberen „Ökostrom“, für alle anderen den CO2-verseuchten Strom aus Kohle und Erdgas oder gar – horribile dictu – den Strom aus der vermaledeiten, wenn auch absolut CO2-freien Kernkraft (du meine Güte: „Atom“strom!). Diese anderen Fahrgäste also reisen mit bestimmt sehr schlechtem Gewissen – ein nicht sehr komfortables Gefühl, das die Bahn diesen Kunden vermittelt und zumutet. Doch halt, die Klimaschutz-Propaganda-Truppe der Bahn ist einfallsreich: Die anderen Reisenden können sich gutes Gewissen erkaufen, indem sie bei jedem Fahrscheinerwerb einen kleinen Sonder-Obulus entrichten. In der Bahnpropaganda liest sich das so: Dann können sie „für nur einen Euro Aufpreis pro Strecke und Person innerhalb Deutschlands im Fernverkehr ebenfalls mit 100 % Ökostrom unterwegs sein“.
Ein top-geheimes Patent?
Doch nicht alle Zugfahrer werden willens sein, diesen einen Euro für ihren Transport per Ökostrom zu opfern, sei es, weil sie gegen diesen absurden Auswuchs der Klimaschutzpolitik ebenfalls protestieren, oder sei es, weil sie nicht nur jeden Cent, sondern auch jeden Euro umdrehen, ehe sie ihn ausgeben. Die also bekommen den „Ökostrom“ für ihre Bahnreise nicht. Folglich geht es ohne eine Oberleitung, die Strom aus unterschiedlichen Energiequellen getrennt herzugeben vermag, wohl nicht. Das Patent für diese Oberleitung wird ein technisches Wunder sein. Allerdings hat man von diesem Patent noch nichts gehört. Offenbar top secret. Aber wie geheim auch immer, die Bahn biedert sich dem Zeitgeist ganz schön an.
Ein ganz schönes Risiko bei 100 Prozent „Ökostrom“
Aber warum müssen sich, wie eingangs erwähnt, die Zugreisenden im Besitz von Bahncard oder Streckenzeitkarten, also mit Ökostromberechtigung, schwer in Acht nehmen? Nun ja, sie reisen doch mit 100 Prozent „Ökostrom“, also ausschließlich mit „Ökostrom“. Ein ganz schönes Risiko. Was nämlich ist, wenn dieser Strom ausfällt, weil der Wind nicht hinreichend weht und – was vor allem nachts vorkommen soll – die Sonne nicht scheint. Sollten sie bei Windstille und Dunkelheit einen Zug dann lieber nicht besteigen? Also nur dann, wenn sie einen Ökostromausfall ganz sicher nicht zu befürchten haben? Oder was ist, wenn dieser Stromausfall ihren Zug ausgerechnet dann ereilt, wenn dieser gerade unterwegs ist? Keine Sorge, dann kommt der „Ökostrom“ aus blitzsauberer Wasserkraft ins Spiel – es sei denn, die paar Talsperren sind gerade leer (zu wenig Regen), die wenigen Pumpspeicherkraftwerke müssen das Wasser in ihre Speicher gerade wieder hochpumpen, und die Laufwasserkraftwerke können den Ausfall nicht ersetzen.
Wo „Ökostrom“ draufsteht, ist da auch „Ökostrom“ drin?
Doch das einmal beiseite gelassen: Rettung bringen große Verträge der Bahn mit Wasserkraftwerken in Deutschland und Österreich. Ohnehin, so versichert die Bahn, komme ihr „Ökostrom“ hauptsächlich aus Wasserkraft. Mit RWE-Chef Jürgen Großmann hat Bahnchef Grube Ende Juli 2011 einen Milliarden-Vertrag zur Lieferung von Strom aus RWE-Wasserkraftwerken unterzeichnet. Von 2014 bis 2028 sollen 14 Wasserkraftwerke die Züge der Bahn mit Ökostrom versorgen. Doch will die Bahn den zusätzlichen Bedarf an „Ökostrom“ auch mit Windenergie decken; Verträge mit „Windparks“ hat sie dafür ebenfalls geschlossen. Aber wie stellt sie sicher, dass da, wo „Ökostrom“ draufsteht, auch „Ökostrom“ drinsteckt, die Kundschaft also tatsächlich mit „Ökostrom“ fährt? Sie erklärt das so: „Anhand der Kenntnisse über die Reiseweiten der Kunden ermittelt die Deutsche Bahn jeweils den Strombedarf an Ökostrom. Diese Menge kauft DB Energie ein und ersetzt mit ihr den herkömmlichen Bahnstrommix in gleichem Umfang. Der Strom aus erneuerbaren Quellen wird physisch ins Bahnstromnetz eingespeist.“ Aha.
Wenn Herr Dimplmoser einen Fahrschein löst
Verstehen muss man das dann doch so: Ein Alfons Dimplmoser kauft in Hannover mittels Bahncard einen Fahrschein per ICE nach Ludwigshafen, und schon hat die Bahn Kenntnis von Dimplmosers Reiseweite, schwuppdiwupp den Ökostrombedarf für seine Reiseweite berechnet, und schwuppdiwupp ordert sie den Strom, sagen wir, im Laufwasserkraftwerk Bad Reichenhall, und das schickt ihn von dort flugs ins Oberleitungsnetz der Bahn. Dieser edle Wasserkraftstrom ist dann allerdings für die anderen Stromverbraucher weg. Umso mehr also müssen sie mit dem so scheußlichen Strom aus Kohle und Kernkraft vorliebnehmen. Was Bahnfahren an CO2 spart, entsteht dann eben woanders.
Viel Glaubenskraft wird gebraucht – oder Sinn für Humor
Gleichwohl, Dimplmoser steigt in den Zug und ist superglücklich. Oder auch nicht. Und die gleiche Prozedur geschieht nun täglich mit den Hunderttausenden von Dimplmosers, die immer überall an Bahnschaltern plötzlich auftauchen, um mit ihrer Bahncard irgendwo hinzufahren. Da hat die Bahn mit den vielen einzelnen Strombestellungen sicher ganz schön zu tun. Die Dimplmosers mit Bahncard und Streckenzeitkarte brauchen allerdings viel Glaubenskraft dafür, dass die Bahn sie mit 100 Prozent „Ökostrom“ von A nach B kutschiert und dass dies etwas ganz, ganz Tolles ist – oder Sinn für Humor.
Wirklich keine Mehrkosten für die Fahrgäste?
Wie schön auch, dass die Kosten für den zusätzlich eingekauften Ökostrom die Bahn übernimmt. Mehrkosten für die Kunden entstünden nicht, sagt die Bahn, abgesehen von dem freiwilligen 1-Euro-Zuschlag für Nichtinhaber von Karten, wenn auch die unbedingt mit 100 Prozent „Ökostrom“ reisen wollen. Doch kann die Bahn solche Kostenbelastungen in Preiserhöhungen vorwegnehmen und vorweggenommen haben. Wie war das doch noch im Dezember 2012? Hat sie nicht damals mit dem Fahrplanwechsel die Fahrpreise heraufgesetzt? Sie hat, und zwar im Durchschnitt um 2,8 Prozent. Und hat sie die Erhöhungen nicht auch mit gestiegenen Stromkosten begründet? Sie hat. Und das wird mit immer mehr Ökostrom so weitergehen. Auch kommt es einem verdammt so vor, als ob die (einst sehr, sehr seltene) Unpünktlichkeit der Züge erst begonnen hat, seit per Gesetz (das EEG!) zwangsweise immer mehr „Ökostrom“ ins Netz gedrückt wird.
Eine Eigenart der Schildbürger
Nun fahren also Millionen Kunden der Deutschen Bahn seit Anfang April in den Zügen des Fernverkehrs angeblich ohne Mehrkosten „ganz automatisch mit Strom, der zu 100 % aus erneuerbaren Energien stammt“. Man ahnte es irgendwie: Schilda ist kein Märchen, und die Schildbürger gibt es immer noch oder schon wieder. Ihre Streiche ebenfalls. Dieser hundertprozentige Ökostrom der Bahn für einen Teil ihrer Kundschaft ist innerhalb von CO2-Wahn und Klimaschutzpolitik auch so einer. Es ist die Eigenart der Schildbürger, erst hinterher zu merken, wie fürchterlich in die Hose gegangen ist, was sie da so fröhlich getrieben haben.
Apropos, wenn es um Ökostrom geht, immer an diese fünf Merksätze denken:
Nachts scheint keine Sonne, bei Regenwetter und bedecktem Himmel fällt sie ebenfalls aus.
Wind weht meist zu viel, zu wenig oder auch gar nicht.
Strom lässt sich nicht speichern.
Der Acker soll Brot fürs Volk liefern, nicht aber „Biogas“ für Strom.
Kernkraft in Deutschland ist sicher genug (und CO2-frei)
PS. Hilfe gegen die Energiewende und Informationen finden Sie bei der Stromverbraucher-Schutzorganisation NAEB: http://www.naeb.de/ und http://www.prmaximus.de/pressefach/naeb-nationale-anti-eeg-bewegung-e.v.-pressefach.html
Warum sollte man freie Ackerflächen nicht nutzen, wenn das Volk keinen Hunger leidet?
Ich denke man muss für die Zukunft über seine Prinzipien hinaus.
Ansonsten, toller Artikel!
Die 5 Sätzchen oben sind einfach genug, das sollte sich jeder auch mit „…..ogen“-Studium merken können, mit Quali sowieso. Beim Rechnen sind aber sowohl die Sozialpädag-ogen als auch die Hauptschüler heute nicht mehr firm. Die Rechnung fängt auf dem Acker an.
Wenn 100 ha Mais Monokultur meine Bienen killt und wegen des Wirkungsgrades Gasmotor, 62 ha im Sommer nur in heiße Kühlluft verwandelt werden, dann ist das 100% Okowahnsinn (=EEG). Soll ich die Rechnung für Wind und Solar auch noch machen? Nein mein Name steht da, ich fürchte langsam die Rache der Ökofaschisten!
Für mich war Grund für Hohn über die Bahn, daß man sich ja fragen muß, wenn zusätzlicher (!) Öko-Steom ins Bahn-Netz fließt, wo dann denn der Strom bleibt, der da „verdrängt“ wird, wie es in der Begleitbroschüte zur BahnCard 50 (Variante BahnComfort) heißt. Siehe bahn.nachhaltig-nutzbare-energiequellen.de/@DSCF0001b.JPG.
Wenn ich in ein randvolles Faß, voll mit klarem Wasser, nach und nach eine „Öko-Portion“ grünes Wasser kippe, geht im übrigen ja nicht nur klares Wasser, sondern auch ein Anteil des grünen Wassers über Bord. Der Erklärungsansatz der BahnAG für ihren Ökostrom-Tip ist schon selten dämlich.
Aber die Bahn hat ja offentlichlich Leute, die für Kundenfopp bezahlt werden, seien es auf dem Bahnsteig-Display Anzeigen wie „Endbahnhof“ statt „Zug endet hier“ oder eben konfuse Erläuterungen nach dem Motto „Naturwissenschaften sind Glückssache“.