Sie handeln aus purem Eigennutz, aber daraus entseht – ungewollt und meist in Unkenntnis des Zusammenhangs – ein Nutzen für die Allgemeinheit
Das Wort Spekulant hat im Deutschen einen schlechten Klang. Spekulanten sind windige Gesellen, sie gehen anrüchigen Geschäften nach, sie bereichern sich auf Kosten anderer Bürger, sie streichen unverdiente, weil angeblich leistungslose, Gewinne ein, sie fügen damit braven, ordentlichen Leuten Verluste zu. Man empfindet sie als Hasardeure, als Spielernaturen, Nichtstuer und Drohnen der Wirtschaft, die anständige Menschen ausbeuten. Einem Vorwurf in dieser Richtung sieht sich auch die Deutsche Bank AG ausgesetzt.
Foodwatch contra Deutsche Bank
Den Vorwurf erhoben hatte Thilo Bode, Gründer und Geschäftsführer des Verbrauchervereins Foodwatch, und tut es noch. Die Bank vertreibe „hochspekulative Anlagen auf Basis von Agrarrohstoffen“. Diese Finanzprodukte führten zu spekulativen Preisblasen und könnten damit Hungerkatastrophen auslösen. Es gebe dafür ausreichend wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Belege. Und wörtlich: „Verantwortlich handeln hieße für die Deutsche Bank, sich vorsorglich aus der Spekulation mit Agrarrohstoffen zu verabschieden.“ Andere Banken, darunter die DekaBank der Sparkassen, die LBBW, die Landesbank Berlin und die Commerzbank, hätten sich „unter Verweis auf das Vorsorgeprinzip aus der Agrarspekulation zurückgezogen“.
Ministerin Aigner trompetet mit
Schon 2011 hatte Foodwatch „endlich umfassende Maßnahmen gegen die unmoralische Zockerei“ gefordert. Bundesagrar- und -verbraucherministerin Ilse Aigner nutzte die Gelegenheit für populistisches Dröhnen, stößt beipflichtend mit ins Bode-Horn bei und trompetete: „Ich erwarte, dass ein klarer Trennstrich gezogen wird zwischen verantwortungsvollen Investitionen, die hilfreich sind im Kampf gegen den Hunger, und Transaktionen, die Preisschwankungen weltweit verstärken können.“ Diese hätten auf den Agrarrohstoffmärkten nichts zu suchen. „Die Deutsche Bank hat die Zeichen der Zeit offenbar nicht erkannt.“ Deren Haltung nannte sie „verantwortungslos.“ *)
Skandalisierungen von Foodwatch sollen Medien-Interesse einfangen
Foodwatch e.V. besteht seit 2002, ist ein gemeinnütziger Verein, setzt sich für Rechte der Verbraucher ein und nennt sich eine “politisch aktive Organisation“. Zuvor war der promovierte Volkswirt Bode Geschäftsführer beim deutschen Ableger der Umweltorganisation Greenpeace (1989 bis 1995) und danach in gleicher Funktion bei Greenpeace International (1995 bis 2001). Wie bei Greenpeace lebt Bode auch mit Foodwatch von Skandalisierungen und Kampagnen mit spektakulären Aktionen. Sie sollen Aufmerksamkeit „produzieren“, auf diese Weise das Medieninteresse einfangen und beim Publikum Entrüstung und Empörung auslösen. Es ist ein Geschäftsmodell, um möglichst viele Mitglieder zu gewinnen und Spenden einzusammeln.
Spekulanten als Prügelknaben für Politiker-Untaten
Ein Streitgespräch über die Vorwürfe von Bode zwischen ihm und dem Agrarökonomen Harald von Witzke, Humboldt-Universität Berlin, hat die FAZ am 4. April 2012 gebracht. Dazu am 21. April 2012 eine gegen Bode kritische Zuschrift vom Vorstandsmitglied Detlev Kock der Hauptgenossenschaft Nord AG, Kiel. Ich habe dazu aber leider keinen Web-Link verfügbar. In dem Gespräch kam aber die wohl wesentliche Ursache dessen, was Bode anklagt, nicht zur Sprache: das nicht mehr sachwert-gedeckte staatsmonopolistische Geldsystem mit seiner ausufernden Geldschöpfung durch die zentralen Notenbanken und deren künstlicher Niedrigzinspolitik. Mit der somit aufgeblähten Geldmenge ist so viel billiges Geld vorhanden, das in Sachwertanlagen nicht mehr voll zu investieren ist und daher in höher rentierliche reine Finanzanlagen drängt, darunter auch in dubiose. Für den, der von solcher Ursache nichts weiß oder sie nicht wahrhaben will, sind Spekulation und Spekulanten eine dankbare, leicht vermittelbare Erklärung. Auch Politiker nutzen Spekulanten gerne als Prügelknaben, um von eigenen Untaten abzulenken. Die „Haltet-den-Dieb-Rufe sind nur allzu üblich und bekannt.
Sich erinnern, dass Spekulanten nicht des Teufels sind
Zwar muss die Deutsche Bank mit ihren Finanzprodukten („Agrar-Derivate für Nahrungsmittelhersteller“) nicht gerade verteidigt werden, das kann sie selber und macht es auch. Es soll hier ebenfalls nicht darum gehen, das Geschäftsmodell Bode als zumindest anrüchig anzuprangern, denn Foodwatch tritt für Verbraucherschutz auch durchaus berechtigt ein. Aber die Spekulationsanklage von Foodwatch gegen die Bank gibt doch Anlass, wieder einmal daran zu erinnern, dass Spekulanten und Spekulation nicht des Teufels sind, sondern sehr wohl nützliche Aufgaben erfüllen – unabhängig davon, dass bei Spekulationsgeschäften kriminelles Handeln natürlich ebenso möglich ist wie in der geschäftlichen und privaten Welt überall.
Was Spekulanten unentbehrlich macht
Wer Spekulanten als Hasardeure und Ausbeuter sieht, verkennt, was sie gerade an Rohstoffbörsen und Warenmärkten leisten. Sie übernehmen und tragen für andere das Risiko, das diesen anderen zu hoch ist. Damit erfüllen sie für Märkte und Wirtschaft eine wichtige Aufgabe, sind insofern sehr nützlich und geradezu unentbehrlich. Das Risiko besteht darin, dass Preise steigen und fallen. Es birgt die Gefahr, dass man etwas zu teuer kaufen oder zu billig verkaufen muss. Wegen dieser Gefahr hat sich das Kaufen und Verkaufen im Voraus, aber zur späteren Lieferung entwickelt: das Termingeschäft.
Spekulanten decken den Preissicherungsbedarf anderer
Landwirte zum Beispiel, die sich dem Preisdruck entziehen wollen, wenn die neue Weizenernte schlagartig auf den Markt drängt, können auf diese Weise ihren Weizen schon verkaufen, wenn sie ihn gerade erst ausgesät haben, nämlich „auf Termin“, zum Beispiel für Lieferung einige Monate nach der Ernte, und zwar zu dem zur Aussaatzeit herrschenden „Terminpreis“. Damit sichern sie sich einen festen Preis und eine klare Kalkulationsgrundlage. Auf der anderen Seite haben die Mühlen als Verarbeiter von Weizen ebenfalls einen Preissicherungsbedarf. Folglich versuchen sie, Weizen im Voraus „auf Termin“ zu kaufen. Diesen Bedarf decken Spekulanten.
Spekulanten springen als Risikoträger ein
Denn Landwirten und Mühlen allein fällt es schwer, den geeigneten Vertragspartner zu finden. Auch fehlt es an Mut, zu große Verkaufs- und Kaufrisiken einzugehen. Hier schlägt die Stunde der Spekulanten. Als Risikoträger springen Leute ein, die Geld haben, gleichsam „Spielkapital“, das sie notfalls auch verlieren können. Erleichtert wird die Risikoteilung durch Waren-Terminbörsen. Hier läuft das Handeln und Spekulieren in organisierter Form nach festen Regeln ab. Außerdem wurden Standardkontrakte entwickelt. Sie lauten auf eine bestimmte Ware in bestimmter Menge und bestimmter Qualität. Damit werden die Waren vertretbare („ent-individualisierte“) Sachen und die Kontrakte handelbar wie Wertpapiere.
Ort der Risikoübertragung ist die Warenterminbörse
Kauft ein Spekulant einen solchen Kontrakt, dann hat er damit das Recht erworben, die betreffende Ware in der bestimmten Menge zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erhalten. Zugleich hat er sich damit verpflichtet, die Ware zum vereinbarten Kaufpreis abzunehmen. Doch bevor es dazu kommt, pflegt er den Kontrakt wieder zu verkaufen, und zwar zu dem dann geltenden Preis – also entweder mit Gewinn oder Verlust. Das geschieht zum Beispiel dann, wenn ihm das Risiko zu groß wird oder wenn er einen Preisgewinn realisieren will. Der Käufer kann ebenfalls ein Spekulant sein oder aber ein Händler oder ein Verarbeiter, der die Ware wirklich geliefert haben will. So kommt es, dass alle Preisveränderungen bis zum Verkauf an einen wirklichen Abnehmer auf die Kappe der Spekulanten gehen. Für diese Zeit nehmen sie dem Produzenten wie dem Verarbeiter der Ware das Preisrisiko ab. Wird es ihnen zu hoch, können sie den Kontrakt jederzeit wieder verkaufen und das Risiko anderen Spekulanten aufladen, wenn diese es noch für tragbar halten. Ort der Risikoübergabe ist die Warenterminbörse.
Viele Spekulanten sind nützlicher als nur wenige
Das Bedürfnis nach Sicherheit und Risikominderung haben nicht nur Produzenten und Verarbeiter von Rohstoffen. Wer für seine Geschäfte Fremdwährungen braucht oder erlöst, will sich dem Wechselkursrisiko entziehen. Und die Gefahr rascher und ausgeprägter Schwankungen von Zinssätzen, wie sie zurzeit allerdings nicht stattfinden, weckt das Verlangen nach abgesicherten Preisen für Geld und Kapital an den Finanzmärkten. So hat sich die Technik des Warentermingeschäfts auf die Devisen- und Finanzmärkte ausgedehnt. Auch hier sind die Spekulanten zur Stelle, um jenen, die nach Sicherheit streben, den Hedgern (von to hedge: absichern), das Risiko abzunehmen. Und je größer die Zahl der Spekulanten, desto größer für die Hedger das zur Risikoübernahme bereite Angebot. Es ist also falsch, die Spekulantenzahl kleinzuhalten, sondern gut, möglichst viele Spekulanten zu haben, denn umso nützlicher sind sie. Mitleid mit ihnen, wenn ihre Spekulation schief geht, muss man nicht haben, aber Anerkennung ihrer Nützlichkeit verdienen sie. Wohl hat das Spekulieren mit Währungen schon lange auch eigenständige Züge angenommen und sich insofern von der reinen Währungsabsicherung für Warengeschäfte gelöst, doch verwerflich ist auch das nicht, denn je mehr Spekulanten, desto mehr gegenseitige Kontrolle, mehr Markttransparenz und besser funktionierende Devisenmärkte.
Spekulieren aus reinem Eigennutz wirft ungewollt auch Gemeinnutzen ab
Natürlich lassen sich die Spekulanten das Risiko nicht umsonst aufladen und schon gar nicht aus christlicher Nächstenliebe oder etwa aus dem Bedürfnis, für Markt und Wirtschaft eine nützliche Rolle zu spielen. Ihr Preis ist der mehr oder minder hohe Gewinn, den sie sich aus den Preisveränderungen erhoffen. Und das Schöne ist, dass diesen Preis andere Spekulanten entrichten müssen, nämlich jene, die falsch spekuliert und verloren haben; so gerecht geht es an solchen Märkten zu. Sie entrichten ihn in Form ihres Verlustes. Sie nehmen den Preis in Kauf, weil ihre Spekulation auch aufgehen und den erhofften Gewinn abwerfen kann Es ist also purer Eigennutz, der die Spekulanten antreibt. Aber aus dem Motiv Eigennutz entsteht ungewollt und meist in Unkenntnis des Zusammenhangs das „Produkt“ Gemeinnutz, also ein Nutzen für Wirtschaft und Allgemeinheit. So paart sich, wo es Märkte mit Spekulanten gibt, Nutzen mit Gerechtigkeit. Das ist die heimliche, weil für die meisten nicht sichtbare, aber vorzügliche Tücke jener Einrichtung, die freier Markt heißt. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Beitrag „Die immer wiederkehrenden Irrtümer“ (https://kpkrause.de/2009/10/06/die-immer-wiederkehrenden-irrtumer/).
Spekulieren nicht verbieten, nur Regeln ihm geben
Spekulation zu verbieten, wäre töricht. Das Verbot würde auch wenig nützen; es würde umgangen, denn menschliches Bedürfnis nach Spekulation ist ebenso wenig verbietbar wie Hunger und Durst. Es ist vernünftiger, die Spekulation nicht in die Illegalität und Schattenwirtschaft zu drängen, sondern ihr, wie es an allen Börsen geschieht, Regeln zu geben und sie legal und dort wirken zu lassen, wo viel Licht ist, Scheinwerferlicht: an Märkten, die für alle offen sind.
*) Handelsblatt vom 22. Januar 2013.