Die EZB ist umgefallen

Sie soll die Währung hüten, nicht die Konjunktur
Sie schwimmt jetzt im Fahrwasser der Fed

Die Europäische Zentralbank (EZB) sinkt immer tiefer. Nicht nur kauft sie hochverschuldeten Euro-Staaten unsichere Staatsanleihen ab, um die Zahlungsunfähigkeit dieser Staaten zu verhindern. Nicht nur hat sie Banken der Eurozone mit unbegrenzter Liquidität versorgt, um sie vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Nicht nur pumpt sie auf diese Weise die Geldmenge gewaltig auf und schafft damit ein großes Inflationspotential. Nicht nur hat sie auf diese Weise ihre politische Unabhängigkeit verloren, die sie zu bewahren gehabt hätte. Nicht nur drückt sie die Leitzinsen nach unten, damit sich die Euro-Staaten den Zinsendienst für ihre Überschuldung überhaupt noch leisten können. Nicht nur hat sie sich schon damit von der regelorientierten Stabilitätspolitik verabschiedet. Nein, sie treibt die Abkehr von dieser Politik noch weiter und macht ihren Leitzins nun auch noch zu einem Instrument der Konjunkturpolitik.

Leitzinssenkung, um Wachstum zu sichern

Ihre jüngste (und allgemein überraschende) Leitzinssenkung am 3. November von 1,5 auf 1,25 Prozent hat der neue EZB-Präsident Mario Draghi mit der „hohen Unsicherheit“ begründet, die die Wirtschaft belaste. Alles deute auf eine schwächere Konjunktur hin. Das Wachstum sei im zweiten Halbjahr wegen der Spannungen an den Finanzmärkten nur noch langsam gewesen. Zum Jahresende werde es eine „milde Rezession“ geben. Allein also die Sorge vor einer kleinen Konjunkturschwäche hat die EZB zu diesem Schritt bewogen. Deutlicher kann sie gar nicht kundtun, welche Kehrtwende das bedeutet. Damit folgt sie nun einem Doppelmandat und ist nun ganz offen in das Fahrwasser der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve (Fed) eingeschwenkt, die ihre Geldpolitik schon immer an zwei Zielen nebeneinander ausrichtet: Wachstum sichern und den Geldwertverfall des Dollar zügeln.

Der Leitzins hätte erhöht statt gesenkt werden müssen

Dagegen ist die EZB nach ihren Statuten nur einem einzigen Ziel verpflichtet: den Geldwert des Euro stabil zu halten – so, wie es die Deutsche Bundesbank gegenüber der D-Mark selig einmal war. Dass ebenso auch die EZB zu verfahren hat, ist im Regelwerk zur Euro-Währungsunion verpflichtend niedergelegt. Damit sollten die Deutschen beruhigt und gewonnen werden, die den Verlust der D-Mark mehrheitlich abgelehnt hätten, wenn sie denn darüber hätten abstimmen dürfen. Daher hätte die EZB den Leitzins jetzt nicht senken dürfen, sondern, im Gegenteil, erhöhen müssen. Denn die statistisch berechnete Inflationsrate des Euro beträgt inzwischen schon 3 Prozent, und die „gefühlte“, die sich ebenfalls schon berechnen lässt, ist sogar noch höher.

Schon 2 Prozent jährliche Geldentwertung sind zuviel

Es ist schon schlimm genug und bezeichnend, dass eine Inflationsrate von (bis zu) 2 Prozent als Geldwertstabilität hingestellt und bereits seit viel zu vielen Jahren hingenommen wird, schlimmer noch: mit der Geldpolitik sogar als Ziel angepeilt wird. Dahinter steckt die Angst (vor allem der Politiker), eine wirkliche Geldwertstabilität würge das Wirtschaftswachstum ab. Es ist die Angst vor geringeren Steuereinnahmen und davor, dann über weniger Spielgeld zum Umverteilen und zur Wählerbestechung zu verfügen. Damit werden (bis zu) 2 Prozent Inflation als Wachstumsschmiermittel bewusst in Kauf genommen. Bezeichnend ist, was Draghi sagte, als er den Zinsbeschluss erläuterte und sich dabei bewundernd zwar auch zur Tradition der Deutschen Bundesbank äußerte, dann jedoch sagt: Aber die Zeiten hätten sich geändert, und er werde nun tun, was notwendig sei.

Die EZB missbraucht ihr Geldmonopol

Doch die Zentralbank soll die Währung hüten, nicht die Konjunktur. Auch soll sie mit ihrer Geldpolitik nicht das Zinsniveau drücken, um verantwortungslosen Politikern das Schuldenmachen zu erleichtern und den Staat in die Überschuldung zu treiben, wie es in zu vielen Ländern längst der Fall ist. Gerade weil die Zentralbank über das staatlich zugesprochene Geldmonopol verfügt, darf sie ihr Monopol ebenso wenig missbrauchen wie andere Monopolisten. Idealerweise sollte der Leitzins dann jenem Zins entsprechen, wie er sich ohne Missbrauch des Geldmonopols herausbilden würde, genannt natürlicher oder neutraler Zins. Eine Niedrigzinspolitik zugunsten der (vor allem staatlichen) Schuldner und zu Lasten der (vor allem privaten) Gläubiger ist ein Missbrauch des Monopols. Sie fügt Sparern, der privaten Altersvorsorge und Empfängern von Altersbezügen (Rentnern, Pensionären) schlimme schleichende Schäden zu. Bürger mit Guthabenkonten und ihren Sparanlagen müssen niedrigste Zinserträge hinnehmen. Schuldnerschutz hat Vorrang bekommen vor Sparerschutz.

Leitzins senken, nur weil eine „milde Rezession“ kommen könnte?

Schlimm ist daher auch, dass die Medien in Berichterstattung und Kommentierung über diese Folgen der Leitzinssenkung wieder einmal so gut wie kein Wort verlieren. Sparer und andere Gläubiger sind nun noch schlechter dran. Und ausgerechnet eine Zeitung wie die FAZ, die stets auf die Geldwertstabilität entschieden zu pochen pflegt, spielt plötzlich mit und kommentierte den Zinsbeschluss zustimmend mit dem Satz: „Angesichts der Erwartung einer ‚milden Rezession’ lässt sich deshalb die Zinssenkung rechtfertigen.“ Nein, damit lässt sie sich überhaupt nicht rechtfertigen. Eine Politik des billigen Geldes verzerrt auch die Preisbildung an den Gütermärkten und bringt die marktwirtschaftlichen Lenkungskräfte durcheinander. Mit künstlich billigen Krediten werden Investitionen getätigt, die sonst vielleicht unterblieben wären, werden Güterpreise hochgetrieben und Preisblasen initiiert.

Auch die Bundesbank ist nicht mehr, was sie einst war

Die Leitzinssenkung hat der EZB-Rat einstimmig beschlossen, also hat ihr auch das deutsche Ratsmitglied, Bundesbankpräsident Jens Weidmann zugestimmt. Die Bundesbank ist eben auch nicht mehr, was sie einmal war und was sie – obwohl heute in der Währungsunion mit sehr begrenzter Durchsetzungsmöglichkeit – immer noch sein sollte, wenigstens als öffentlicher Mahner.

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