Ein unsägliches Gespräch

Günther Krause, Wolfgang Schäuble und „Die Welt“ verfälschen, was geschah

Jüngst hat die Tageszeitung „Die Welt“ mit den beiden Unterhändlern der deutschen Wiedervereinigung ein Gespräch geführt, also mit Günther Krause und Wolfgang Schäuble.*) Geleitet haben es die Journalisten Thomas Schmid und Daniel Friedrich Sturm. Ihre Gesprächsführung bezeugt, dass sie nicht wissen, was wirklich Sache ist und daher nicht fragen, was sie fragen  müssten. So werden Tatsachen und Recht weiterhin verbogen.

Anlass zum Gespräch ist der 31. August. An diesem Tag vor zwanzig Jahren haben Krause und Schäuble den Vertrag zur Herstellung der deutschen Einheit (Einheitsvertrag) unterzeichnet. Die Gesprächsführung verengt das Geschehen auf die sogenannte Bodenreform von 1945/49 und darauf, dass die damals von Haus und Hof vertriebenen und enteigneten Landwirte und Gutsbesitzer seit 1990 trotz Untergang der DDR ihr Eigentum nicht zurückerhalten. Krause wie Schäuble lassen sich auf diese unzulässige Verengung und damit Verfälschung ein, ohne zu widersprechen und das tatsächlich Geschehene richtigzustellen.

Die Eingangsfrage der „Welt“ lautet: „War die Beibehaltung der Bodenreformen von 1945 bis 1949 und teilweise danach wirklich zwingend, um die Einheit zu ermöglichen? Damit ist ja wiederum Unrecht entstanden.“

Günther Krause antwortet: „Es jedem recht zu machen ist eine Kunst, die niemand beherrscht. So wie wir die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges nicht rückabwickeln können, können wir auch die Ergebnisse einer Bodenreform nicht rückabwickeln. Die Frage ist, wie wir mit den Ergebnissen der Bodenreform zukünftig umgehen. Die DDR hatte als kommunistisches Land einen gewissen Grundstücksausgleich für die Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten aus dieser Bodenreform vorgesehen. Das waren im Regelfall acht Hektar. Da wollte man nicht ran. Wir hätten das auch nicht gekonnt, weil ein gewisses Heimatrecht entstanden war.“

In der Tat, man kann es nicht jedem rechtmachen. Aber Recht kann man machen. Man muss es sogar. Gerade jene rund 8 Hektar Bodenreformland für die Vertriebenen und für landlose Landarbeiter 1945/49 sollten diese mit ihren Familien daher auch nach 1990 als Eigentum behalten dürfen. Eben das war die sogenannte DDR-Bedingung. Dem haben sich verständnisvoll (mit wenigen Ausnahmen) auch die Alteigentümer-Familien nicht widersetzt, sondern es gebilligt.

Aber bei weitem nicht alles damals enteignete Land ist aufgeteilt an die Ost-Vertrieben und Landarbeiter acht-hektarweise übergeben worden. Der übrige Rest blieb als „volkseigen“ in Staatshand, ging mit der deutschen Einheit in die nunmehr gesamtdeutsche Staatshand über und hätte ohne weiteres an die Alteigentümer-Familien zurückgegeben werden können und müssen. Diese Familien konnten dabei nicht nur „ein gewisses Heimatrecht“ geltend machen, sondern vielmehr ein uraltes. Rechte privater und gutgläöubiger DDR-Bürger wären nicht verletzt worden.

Die Bundesregierung jedoch wollte dieses 1945/49 von den Kommunisten geraubte und nun zur Rückgabe frei verfügbare Land behalten und aus fiskalischen Gründen verkaufen. Das war der zweite Eigentumsraub dieses Landes. Später sogar haben die Regierungen der fünf neuen Bundesländer vielen Erben diese rund acht Hektar Bodenreformland auf brutale Weise dann sogar doch noch weggenommen (siehe „Heimlich enteignete Erben“ unter  https://kpkrause.de/?p=471). Da zählte auch das „gewisse Heimatrecht“ plötzlich nicht mehr.

Die Überschrift zum „Welt“-Gespräch lautet „Wir konnten nicht auf die Eigentumsverhältnisse unter Napoleon zurückgehen“. Günther Krause hat das gesagt: „Man kann in einem geschichtlichen Umbruch nicht zurückgehen auf die Eigentumsverhältnisse unter Napoleon.“ Aber diese Äußerung ist absurd. Niemand hat 1990 und in den Jahren danach verlangt, in Deutschland die napoleonischen Eigentumsverhältnisse wiederherzustellen. Es ging und geht nur um die allerjüngste und sehr überschaubare Vergangenheit von 1945 bis 1990. Die Generation, die die schweren Rechtsverletzungen 1945/49 selbst hat durchmachen müssen hat, lebte noch, die nötigen Unterlagen sind vorhanden, die gesetzlichen Regelungen ebenfalls.

Dann fragt die „Welt“ Schäuble, wie er das sehe, was Krause gesagt habe. Der antwortet: „Genauso.“ Auch er klärt nicht darüber auf, dass es der DDR-Regierung unter Lothar de Maiziere und der (ersten und letzten freigewählten) DDR-Volkskammer nur um das Bodenreformland von rund 8 Hektar je Kopf ging. Auch er entzieht sich der Wahrheit mit der Formel:  „Weder im Westfälischen Frieden, und der liegt schon eine Weile zurück, noch in den französischen Regelungen, als die Bourbonen nach Revolution und Napoleon wieder an die Macht kamen, sind die Vermögensveränderungen wieder rückgängig gemacht worden. Das geht in der Geschichte nicht.“  

Gewiss lassen sich Ereignisse und Unrecht in ihrer Gesamtheit nicht „rückgängig“ machen, nicht zurückdrehen. Aber Möglichkeiten zur Widergutmachung gibt es sehr wohl. In der Gemeinsamen Erklärung vom 15. Juni 1990, im Vertrag zur Herstellung der Deutschen Einheit und in zwei Rehabilitierungsgesetzen sind sie geregelt.  Aber diese Wiedergutmachung (Rehabilitierung der 1945/49 widerrechtlich politisch Verfolgten, denn die „Bodenreform“ war politische Verfolgung) wird von der politischern Führung und den Gerichten entgegen den gesetzlichen Vorgaben verweigert.

„Was ist nun Recht?“ fragt Günther Krause. Schäuble antwortet: „Da muss man Regelungen finden, die für die Zukunft vernünftig sind.“ Aber die muss nicht erst finden, die gibt es längst, nur werden sie missachtet. Ich habe das schon oft dargelegt. Hier kann man es nachlesen:

Alles dies wird von Krause und Schäuble im Gespräch unterschlagen, findet mit keinem Wort, keinem Hinweis Erwähnung. Und die „Welt“ stellt hierzu keine entsprechenden und unerlässlichen Fragen, denn ihre beiden Journalisten kennen sich in diesen gesetzlichen Regelungen zur Wiedergutmachung offenkundig überhaupt nicht aus. Trotzdem finden sie nichts dabei, ein solches Gespräch zu führen, das die entscheidenden Tatsachen unterschlägt und den wirklichen Hergang verfälscht Sie fragen dann nur noch, an Schäuble gerichtet: „Aber Sie sagen nicht, dass die Beibehaltung der Bodenreform von 1945 bis 1949 eine Vorbedingung der Sowjetunion war?“  

 

 

 

 

Schäuble, damals (1990) immerhin Bundesinnenminister und alles andere als ein kleines, ahnungsloses politisches Licht, weicht aus und stellt sich unwissend: „Ich habe mit den äußeren Aspekten der Deutschen Einheit nichts zu tun gehabt. Deswegen habe ich dazu kein eigenes Wissen. Ich habe mit der Sowjetunion nie darüber gesprochen.“ Krause aber sagt: „Ich war im Juni 1990 in Moskau und habe von einer solchen Vorbedingung nichts gehört.“

 

 

Das hat Krause auch schon eindeutiger formuliert, zum Beispiel 1999: „Wenn ich erklärt habe, dass mir von einer solchen Bedingung nichts bekannt war, so ist das gleichbedeutend mit der Aussage, dass eine solche Bedingung nicht existierte. Hätte sie existiert, wäre sie im damaligen Kabinett der DDR-Regierung beraten worden, zumindest hätte ich als Verhandlungsführer der DDR-Delegation davon Kenntnis gehabt.“  Dass es eine solche Bedingung nicht gab, hat er auch in einer eidesstattlichen Versicherung erklärt  – und ist nie wegen Meineids belangt worden. Gorbatschow hat Krause bestätigt. Ich selbst habe Helmut Kohl und seine damalige Regierung öffentlich der Lüge bezichtigt. Die Politikwissenschaftlerin Constanze Paffrath hat ihre mit summa cum laude bewertete Dissertation darüber geschrieben. Die Lügner, an der Spitze Kohl sogar vor dem Bundestag, haben nicht gewagt, dagegen vorzugehen.
Doch Schäuble meint unbelehrbar, die Fiktion von der Bedingung krampfhaft aufrechterhalten zu müssen und sagt: „Das schließt aber natürlich nicht aus, dass sie gegenüber dem Außenminister oder dem Bundeskanzler geäußert wurde.“
Mit diesem blödsinnigen Satz schließt das „Welt“-Gespräch. Ein unsägliches Gespräch.
*) Ausgabe vom 21. August 2010, Seite 2. Im Internet ist der Wortlaut hier zu finden:

http://www.welt.de/die-welt/politik/article9120551/Wir-konnten-nicht-auf-die-Eigentumsverhaeltnisse-unter-Napoleon-zurueckgehen.html    Thomas Schmid ist Herausgeber des Blattes, Daniel Friedrich Sturm dort Politikredakteur. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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