Erhöhen, kürzen, abschaffen oder … oder …?

Nach dem Hartz-IV-Urteil von „Karlsruhe“

Roma locuta, causa finita? Gewiss, wohl hat das Bundesverfassungsgericht („Rom“) entschieden, aber beendet ist der Fall („causa“) noch nicht. Jetzt geht er erst richtig los. Das zeigt die über dieses „Hartz-IV-Urteil“ prompt entbrannte politische Debatte. Alle zwar loben die Entscheidung, teils auch scheinheilig, wollen jedoch unterschiedliche Konsequenzen aus ihr ziehen. Die einen sehen darin die (unausgesprochene) Aufforderung, die Regelsätze der Hartz-IV-Zahlungen für Erwachsene und Kinder spürbar zu erhöhen (Grüne, Linke, Gewerkschaften). Andere wollen sie kürzen, aber im Einzelfall die Sockelleistung um einen aktuellen konkreten Bedarf aufstocken (CDU-Politiker). So war es übrigens vor „Hartz IV“ gewesen, also vor 2005. Wieder andere wollen nur die Kinder mit höherem Regelsatz beglücken, nicht die Erwachsenen. Für mehr Sach- anstelle von mehr Geldleistungen für Kinder plädiert Ministerin von der Leyen; mit ihnen will sie vor allem bedürftige Schulkinder bessergestellt sehen. Und die FDP möchte „Hartz-IV“ ganz weghaben und an dessen Stelle das „Bürgergeld“ aus ihrem Wahlprogramm setzen. Es gibt auch noch andere Variationen.

Für die Politik viel Spielraum

Ein Chor also, der wild durcheinander singt. Das hat das Verfassungsgericht ganz schön hinbekommen und sich geschickt aus der Affäre gezogen: Der Gesetzgeber muss die monatlichen Regelsätze nach dem tatsächlichen Bedarf berechnen sowie fortlaufend überprüfen und weiterentwickeln – transparent, sach- und realitätsgerecht, nachvollziehbar. Aber zur Höhe der (von den siegreichen Klägern beanstandeten) Regelsätze sagt es nichts. Das allerdings fällt auch nicht in seine Kompetenz. Doch steht seine Entscheidung letztlich da wie ein Orakelspruch der antiken Pythia von Delphi: Das Urteil lässt für die Politik viel interpretativen Spielraum, und den wird sie zu nutzen wissen. Ob zum Sinnvollen, mag man bezweifeln.

Sozialleistungen zusammenlegen …

Das Kürzel Hartz IV bei der Arbeitsmarktreform der SPD-Grünen-Koalition unter Gerhard Schröder als Bundeskanzler steht für das Zusammenlegen der Sozialhilfe und der Arbeitslosenunterstützung von 2005 an. Sie hatte schon damals ihre Kritiker und Gegner. Aber was nun nach dem Richterspruch tun? In der Tat würde es, wie von der FDP vertreten, Sinn machen, staatliche Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, das Sozialgeld, die Grundsicherung im Alter und die Sozialhilfe (ohne die in besonderen Lebenslagen) in einem einzigen Transferbetrag zusammenzufassen, ihn grundsätzlich pauschaliert zu gewähren und allein vom örtlichen Finanzamt auszahlen zu lassen, das es als „Negativsteuer“ berechnet.

… in das „Bürgergeld“ der FDP?

Die FDP nennt diese Sozialleistung Bürgergeld. Einbeziehen will sie auch Steueransprüche, Kindergeldansprüche und etwaige Unterstützungsleistungen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Dieses Bürgergeld ist aber nicht jenes bedingungslose, also leistungslose „Grundeinkommen“ wie vom Drogerie-Unternehmer Götz W. Werner und von Thüringens ehemaligen Ministerpräsident Dieter Althaus mit Inbrunst gefordert. Wer das Bürgergeld bekommen will, muss bedürftig und, wenn erwerbsfähig, dazu bereit sein, eine zumutbare Arbeit anzunehmen.

Sieht aus nach weniger Bürokratie

Die Idee für ein Bürgergeld hatte die FDP schon 1994 vorgelegt. Es soll alle steuerfinanzierten Sozialleitungen des Staates zusammenfassen und das gesamte Sozialsystem modernisieren. Nach FDP-Angaben handelt es sich um 138 solcher Leistungen, verwaltet von 45 verschiedenen staatlichen Stellen. Die Folge seien hohe Kosten, viele Fehler und Informationsverluste. Würden die Zahlungen auf die Finanzämter konzentriert, brauchte die Bedürftigkeit statt mehrmals nur einmal geprüft werden. Das sieht nach weniger Bürokratie aus und wäre, wenn es denn wirklich so wäre, verlockend.

Aber die Materie ist kompliziert

Gleichwohl, es handelt sich um eine überaus komplizierte Materie, die sehr unterschiedlichen Menschen gerecht werden muß. Dieses „Bürgergeld“ darf nicht so hoch ausfallen, daß sich Arbeitsfähige, aber Arbeitsunwillige vor einer (zumutbaren) Arbeitsaufnahme herumdrücken. Und es darf nicht so niedrig sein, daß Arbeitswillige, aber Arbeitslose den elementaren wirklichen Lebensbedarf, wie es das Gericht nun vorgegeben hat, mit der staatlichen Unterstützung nicht zu decken vermögen. Das (und anderes) hinzukriegen, ist wahrhaft schwer. Ob dies in Deutschland gelingt und wirklich ein Ausweg ist, fällt zu hoffen schwer.

Ein Wagnis, das wohl unterbleiben wird

Es fragt sich auch, ob das Bürgergeld-Verfahren wirklich die große Vereinfachung mit sich bringt, wenn es von den „Jobcentern“ auf die Finanzämter übertragen wird. Das müsste für die Öffentlichkeit überzeugender dargelegt werden, bevor ein dadurch bedingter gewaltiger Umbau der Sozialbürokratie ins Werk gesetzt wird. Doch hat der FDP-Plan auch einen schätzenswerten Vorzug: Die Anrechnungsregeln für Bürgergeld-Empfänger, die hinzuverdienen, sind gegenüber jetzt großzügig. Die Empfänger sollen einen wesentlich größeren Teil ihres Einkommens behalten dürfen. Dahinter steht das Motto „Arbeit muss sich wieder lohnen“. Das freilich würde die Staatskasse, also die Steuerzahler oder künftige Generationen, zusätzlich belasten. Und das eigentliche Problem – die schlechte Ausbildung der Hartz-IV-Geldempfänger und mangelnde Erziehungskompetenz, beides über Generationen weitergereicht – wäre mit dem FDP-Bürgergeld noch nicht behoben. So wäre also auch darüber zu entscheiden, ob das zusätzliche Geld nicht besser hierfür eingesetzt würde. Aber ohnehin: Das Vorhaben wäre politisch ein derart großes Wagnis, dass es schon deshalb unterbleiben wird.

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Ein Kommentar zu „Erhöhen, kürzen, abschaffen oder … oder …?“

  1. Irrtümer und Vorurteile…..

    Es ist immer wieder erstaunlich zu lesen und zu hören, wie leichtfertig mit der desaströsen Situation von H4- Beziehern umgegangen wird. Ihr Beitrag ist wahrlich kein Zeugnis von Hintergrundwissen und Mitmenschlichkeit. Er schmerzt und verletzt.

    „…schlechte Ausbildung der H4- Bezieher und mangelnde Erziehungskompetenz, beides über Generationen weitergereicht…..“

    ..betrifft die damaligen Sozialhilfeempfänger vor 2005, nicht aber die Mehrheit der heute betroffenen verlorenen Seelen. Ein Blick in die Statistik der BA für Arbeit, würde auch Sie davon überzeugen, dass hunderttausende Akademiker, insbesondere Ältere und Langzeitarbeitslose, ihr Leben nicht mehr gestalten können und in die soziale individuelle Katastrophe geführt wurden und werden. Vor 2005 gab es in etwa 1,8 Millionen Sozialhilfeempfänger, davon waren ca. 800.000 aus nicht europäischen Ländern. Diese Zahl ist bis heute in etwa konstant geblieben. In den Statistiken der BA findet man z.B. noch andere Zahlen: 3 Millionen Arbeitslose + 4,9 Millionen Arbeitssuchende + die sog. Aufstocker, Midi- und Minijobber, 1- Euro- jobber, Betroffene in Lehrgängen und vorübergehend Krank geschriebene. Insgesamt sind von diesem Schandwerk 12 Millionen Menschen betroffen. All diese Menschen wurden nicht über Generationen weiter gereicht und sind auch nicht schlecht ausgebildet, sie wurden durch die Hartz- Gesetze erst geschaffen.

    Gerhard Schröder enttarnt sich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos 2005 selber (verkürztes Zitat):

    „ Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt………und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt……Wir haben die Veränderung der sozialen Sicherungssysteme auch gemacht, um Ressourcen frei zu bekommen, für die großen gesellschaftlichen Investitionen……Wir müssen jedoch besser werden bei der Exzellenz (Elite), und wir müssen deswegen Exzellenz – Förderung nicht nur in den universitätsunabhängigen Forschungsinstituten betreiben“.

    „Meine Damen und Herren, dieses Programm, das wir gegen erheblichen Widerstand durchgesetzt haben, beginnt zu wirken“.Zitat Ende.

    Das Programm, die Agenda 2010 beginnt zu wirken. Armut, Krankheit, 39.000 Selbstmorde in den Jahren 2007 bis 2010 nach der Suizidstatistik des Landes NRW, die auf H 4 zurückzuführen sind, die anderen Jahre werden verschwiegen, zerstörte Biografien, zerrüttete Familienstrukturen sind die Folge. Die Lebensbiografien und Zukunftsperspektiven von Millionen Menschen wurden und werden erbarmungslos dem Ziel einer neoliberalen Wirtschaftsmacht in Europa untergeordnet. Eine gigantische Umverteilung von unten nach oben, von fleißig nach faul, wurde durch den Ex- Bundeskanzler Schröder und seinem Grünen Außenminister Fischer mit der Agenda 2010 eingeleitet. Weitgehend unbemerkt von der deutschen und europäischen Bevölkerung, werden Demokratie und Menschenrechte Schritt für Schritt, Gipfel für Gipfel, Gesetz für Gesetz in ihre Bestandteile aufgelöst.

    Der Inhalt der Rede G. Schröders hört sich eher harmlos an, der Gehalt aber, die Auswirkungen für weite Teile der Bevölkerung ist katastrophal. Das Eliten Projekt Europa, wird durch eine gigantische Umverteilung finanzieller Ressourcen von Unten nach Oben mit brachial Gewalt gegen die eigenen Bevölkerungen durchgesetzt. Menschenrechte und die die Menschenwürde stehen unter finanziellem Vorbehalt. Die Gesundheit der Menschen im Niedriglohnsektor, der H4 Empfänger und weniger betuchten Rentnern wird angegriffen. Das Solidarprinzip wurde faktisch außer Kraft gesetzt. Das jetzige H 1-4 System ist zum Subventionstopf für die Wirtschaft geworden, finanziell und was den Zugriff auf Arbeitskräfte anbetrifft. Die Regelsätze sind exakt so gehalten, dass die Strom- und Gasversorger, die Telekommunikationsunternehmen und die Haus- und Grundstücksbesitzer ihr Geld bekommen und die Betroffenen können über 120 €/mtl. (Regelsatz) für Lebensmittel, Kleidung, Medikamente …..verfügen. Davon müssen auch noch Rücklagen gebildet werden, für die Neuanschaffung von z. B. einem defekten Kühlschrank. Das alles ist ein unmöglicher Zustand für die Betroffenen. Übrigens Hr. Dr. Krause, im Regelsatz sind 1,07 € für Bildung enthalten. Gibt Ihnen das nicht zu Denken? Eine „Alternative für Deutschland“ muss sich dringend mit dieser Problematik beschäftigen und zwar in die richtige Richtung. H 4 durch ein Bürgergeld zu ersetzen, empfinde ich als weitere Steigerung des Sozialrassismus. Ich kann Sie nur bitten, diesen Weg nicht zu gehen und diese wirkliche grundlegende Problematik neu zu überdenken. Denken Sie auch daran, einen arbeitslosen Architekten nicht auf die gleiche Stufe zu stellen und zu behandeln, wie einen damaligen Sozialhilfeempfänger oder einen Alkoholkranken, denn genau das macht H4.

    Die demokratische Qualität eines Staates, zeigt sich vor allem im Umgang mit Menschen, die staatliche Leistungen empfangen. Die ehemals Dienstleistende Verwaltung, hat obrigkeitsstaatliche Strukturen aufgebaut, die mit dem Verständnis von Demokratie und Rechtsstaat unvereinbar sind (Jobcenter), weil sie nicht für den Menschen konzipiert sind, sondern den profitorientierten Zielen der Wirtschaft angepasst wurden. Die Agenda 2010 ist zur Basis des gesellschaftlichen Zusammenlebens geworden und verhindert jegliche schöpferische, gesellschaftliche und individuelle Entwicklung.

    Die Entstehung der Demokratie basiert im Wesentlichen auf einem positiven Menschenbild. Sie basiert auf sozialer Gerechtigkeit, einem helfenden Staat und einer möglichst großen Verteilung der Macht (Legislative, Exekutive, Judikative). Das Volk sollte die größte Macht in einer Demokratie sein, ist es aber nicht. Es sollte die gewählten Volksvertreter kontrollieren und es hat die Pflicht, einseitige und konzentrierte Machtbestrebungen zu verhindern, tut ea aber nicht. Grundlegende Ideologiewechsel ohne seriöse Beteiligung des Volkes, z.B. von einer sozialen Marktwirtschaft hin zum Neoliberalismus, beschneiden demokratische Prinzipien, führen zu defekten Demokratien und langfristig in totalitäre Systeme. Zwangsarbeit und Zwangsumzüge gab es schon mal und all diese Dinge sind Wege in totalitäre Systeme, siehe nicht nur Carl Friedrich von Weizsäcker.

    Das positive Menschenbild wird langsam durch ein negatives Menschenbild (Thomas Hobbes) ersetzt. Niccolo Machiavelli begründete die Idee des Machtstaates, der auf der Herrschaft des Starken beruht. „Der Pöbel ist immer fasziniert vom Erfolg und in der Welt gibt es nur Pöbel; die wenigsten halten stand, wenn sie nicht genügend Rückhalt finden.“
    In diesem beginnenden Stadium des Demokratieabbaus, mit allen erfahrbaren Verschlechterungen, herrschen Konkurrenz, Misstrauen und Ruhmsucht. „In dieser Phase sind die Menschen zu keinen Leistungen fähig, da sie einander fürchten“ (Thomas Hobbes).

    Es gibt keine Rechtfertigung und kein einziges Argument für die Hartz Gesetze. Das Netz und die Buchhandlungen sind voll mit ausreichend vielen und substanziellen Argumenten gegen die Hartz Gesetze. Sie an dieser Stelle zu wiederholen, würde den Rahmen sprengen. Allein die Anzahl der Toten, müsste zu einer R- Evolution führen.

    Das veranlasste Johannes Paul II. vor einer “Demokratie ohne Werte” zu warnen, denn sie “verwandelt sich, wie die Geschichte beweist, leicht in einen offenen oder hinterhältigen Totalitarismus”. (Centesimus annus, n. 46; Veritatis splendor, n. 101).

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