Wahlmanöver gegen die Angst der Ruheständler
Nachtigall, ick hör dir trapsen, sagt der Berliner, um auszudrücken, daß er den Braten gerochen hat. Der Zweck des Bratens, den die Bundesregierung jetzt mit ihrem Rentenbeschluß vom 6. Mai in den politischen Ofen (vulgo: Gesetzgebungsgang) geschoben hat, riecht drei Meilen gegen den Wind. Er riecht nicht nur, er stinkt. Nämlich nach Wahlmanöver.
Mit einer gesetzlichen Schutzklausel will das Kabinett verhindern, daß die Altersrenten in konjunkturell schweren Zeiten nicht verringert werden müssen. Denn diese Renten hat der Gesetzgeber einst an die Lohnentwicklung gekoppelt: Sind die Bruttolöhne und -gehälter gestiegen, folgen (zeitverzögert) Anhebungen der Renten; sind sie geschrumpft, müssen nach der gesetzlichen Rentenformel Kürzungen der Renten ebenfalls folgen. Mit der geplanten Schutzklausel will die Regierung auf Dauer garantieren, daß die Renten nicht gekürzt werden, weil ebendies nun befürchtet wird.
Abermals ein Eingriff in die Rentenformel
So sehr eine solche Garantie die gut 20 Millionen Rentnerherzen zunächst erfreuen mag, so unübersehbar ist, dass der Beschluß nur einem Ziel dient: ein 20-Millionen-Wähler-Potential bis zur Bundestagswahl am 27. September bei Laune zu halten. Immerhin sind diese 20 Millionen knapp ein Drittel der Wahlberechtigten, also ein beachtlicher Haufen. Von SPD-Seite (Bundesarbeitsminister Olaf Scholz) wurde die Vorlage eingebracht, und die CDU-Seite (mit Kanzlerin Angela Merkel) stimmte ihr zu, weil sie im Wahlkampf sonst Vorwürfe der SPD und Einbußen an Wählerstimmen befürchtet. Aber das Manöver mit dem abermaligen Eingriff in die Rentenformel ist Unvernunft pur – aus vielen Gründen. Heike Göbel in der FAZ vom 7. Mai hat sie umfassend und überzeugend benannt.*)
An die Bruttolöhne gekoppelt sind die Renten, weil ein bestimmter Prozentsatz von den Löhnen als Beitrag der pflichtversicherten Beschäftigten in die Rentenkasse fließt, die daraus die monatlichen Zahlungen an die Rentner bestreitet. Sinken die Löhne, sinken auch die Beitragseinnahmen. Da die Rentenkasse keine Rücklagen hat und alle Beitragseinnahmen sofort an die Rentner durchreicht, genügen die Einnahmen nicht mehr, um die Renten in der versprochenen Höhe zahlen zu können. Folglich sind in so einem Fall Kürzungen vorgesehen – so, wie die Renten mit einem Jahr Verzögerung erhöht werden, wenn die Bruttolöhne gestiegen sind. Aber Kürzungen soll es mit der neuen Schutzklausel ein für alle mal nicht mehr geben.
Bezahlen müssen die Rentner den Schutz selbst
Allerdings werden die Kürzungen nur ausgesetzt, denn sie sollen sie später, wenn bei steigenden Löhnen wieder höhere Renten möglich werden, nachgeholt werden. Diese möglichen Erhöhungen würden dann mit den ausgesetzten Kürzungen verrechnet, also entweder teilweise oder ganz gekürzt. Folglich müssten sich die Rentner auf eine Serie von „Nullrunden“ einstellen; ausbleibende Erhöhungen würden auf Jahre zur Dauereinrichtung. Doch sollen die möglichen Erhöhungen nur halbiert werden. Würde sich also aus der Rentenformel ein Plus von 2 Prozent ergeben, würden die Renten nur um 1 Prozent erhöht. Aber ob halbiert oder nicht, ein Geschenk für die Rentner ist die Schutzklausel nicht, denn bezahlen müssen sie den Schutz selbst – nur eben später und auf Jahre verteilt.
Jetzt schon nötig ist die Klausel nicht
Dabei ist noch gar nicht sicher, ob die Ruheständler 2010 wirklich eine Kürzung ereilt. Nötig ist die Schutzklausel jetzt ohnehin noch nicht; das hätte Zeit, bis verlässliche Zahlen zur Lohnentwicklung vorliegen. Ohnehin würden die etwaigen Rentenkürzungen kaum spürbarer ausfallen als die jeweils mickrigen Erhöhungen der Renten von monatlich unter 20 Euro in der vergangenen Zeit. Aber Ende April hatte das Handelsblatt über ein drohendes Minus von 2,3 Prozent berichtet und damit die Wahlstrategen der großen Koalition sofort alarmiert. Norbert Röttgen (CDU) räumte offen ein: „Ein Wahlkampf, der die Ruheständler verunsichert, ist jetzt unmöglich.
Ein Spielball der Politik schon lange
Man kann die Schutzklausel, also die gesetzliche Garantie der Rente in ihrer gegenwärtigen Höhe, wie es Olaf Scholz tut, als vertrauensbildende Maßnahme darstellen: Die Rentner müssten sich gerade in Krisenzeiten auf die Rente verlassen können. Aber was ist das für eine Verlässlichkeit, wenn sich die amtierenden Politiker immer wieder an dieser finanziellen Alterssicherung vergehen, deren Mittel auch „versicherungsfremd“ verwendet haben und wegen des Umlageverfahrens dieser gesetzlichen Pflichtversicherung haben herumflicken müssen, weil sie seit 1957 keinen Kapitalstock mehr hat. Die gesetzliche Altersrente ist zum Spielball der Politik schon lange verkommen. Der Braten, den wir mit der geplanten Schutzklausel riechen, riecht schon jetzt verbrannt. Verbrannte Braten hat uns die politische Klasse schon mehr als genug serviert.
Die eine und die andere Nachtigall
Trapsen heißt geräuschvoll auftreten. Tut das die Nachtigall mit ihrem Gesang, finden wir das schön. Vom hässlichen Wahlkampfgesang der trapsenden Nachtigall „Bundeskabinett“ lässt sich das nicht sagen. Doch gibt es zwischen beiden Nachtigallen, der natürlichen und der politischen, eine Gemeinsamkeit. Der Vogel (der männliche) verfügt – fast einzigartig unter den Singvögeln Europas – über ein extrem hohes Repertoire an Gesangeskunst und beherrscht 120 bis 260 unterschiedliche Strophentypen, die meistens je zwei bis vier Sekunden dauern – las ich in Wikipedi. Extrem hoch ist auch das Gesangs-Repertoire politischer Nachtigallen und ebenfalls kurzlebig ihre Einzeläußerung.